In dein Herz geschrieben
die Augen und ließ sich den Wind um die Nase wehen. Ich erlebe ein Abenteuer, dachte sie in heimlichem Entzücken, ich fahre auf eine Insel, auf eine Insel ohne Brücke, zu einer Party, wo ich neue Menschen kennen lerne, den Abend an einem fremden Ort in der Gegenwart eines fremden Mannes verbringe. Natürlich, sie hatte das mit Hector schon einmal getan, zumindest im Prinzip.
Sie fuhr zusammen, als jemand ihre Schulter berührte. Hector stand neben ihr an der Reling. Sie konnte nicht fassen, wie anders er ohne Bart aussah. Jünger irgendwie. Und dieses Grübchen in seinem Kinn, Junge, Junge. Aus irgendeinem Grund hatte sie schon immer eine Schwäche für Männer mit Kinngrübchen gehabt. Er hatte ziemlich komisch reagiert, als sie ihn gefragt hatte, weshalb er sich den Bart abrasiert hatte. Etwas von wegen, es sei zu heiß.
Er lehnte sich gegen die Reling und zeigte auf etwas in der Ferne. »Siehst du den winzigen Fleck da drüben? Da ist der Leuchtturm.«
Cassandra blickte nach vorn und sah auf einmal Land, so flach, dass es kaum von der Wasseroberfläche zu unterscheiden war, hätten nicht Häuser darauf gestanden. Zumindest glaubte sie, dass es Häuser waren. Sie kniff die Augen zusammen und blickte in die Richtung, in die er zeigte. Ihr Magen begann vor Aufregung zu kribbeln. Sie konnte es kaum erwarten, näher zu kommen, alles zu sehen. Sie lächelte und spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss. Die Art und Weise, wie er sie ansah, gab ihr das Gefühl, wahrgenommen zu werden, interessant zu sein, von Bedeutung, nicht nur eine fette alte Langweilerin, die niemals etwas gesehen oder unternommen hatte. Nein, nicht alt. Inzwischen war es endlich Zeit, jung zu sein. Sie war nicht ganz sicher, wie sie es bewerkstelligen sollte, aber es würde ihr schon noch einfallen.
42
Hector hatte keine Ahnung, wieso er so aufgeregt war. Sie hatten doch nichts anderes getan, als an Deck des Bootes seines Bruders zu sitzen und zu den Sternen hinaufzusehen. Aber aus irgendeinem Grund fühlte es sich nach mehr an, so als herrsche tiefes Einverständnis zwischen ihnen. Vielleicht war es passiert, als er ihre Hand genommen hatte, um ihr an Bord zu helfen. Oder davor, als sie die Fähre verlassen hatten und Annie Laurie Cassandra um den Hals gefallen war, so als hätte sie sie seit Jahren nicht gesehen. Vielleicht auch auf der Fahrt hierher, als sie ihn geneckt hatte, diesmal müsse er aber ins Wasser springen und sie retten, falls sie wieder über Bord gehe.
Tja, er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, aber was sollte das bringen? Ganz egal - sie saßen hier, etwas war zwischen ihnen, und er wusste, dass auch sie das fühlte. Er spürte stets den Augenblick, wann es auch ihr bewusst wurde, denn sie zog sich jedes Mal abrupt zurück und verschloss sich. Er wartete beim Abendessen darauf, dass es passierte, als seine Brüder ihn wegen seines Barts aufzogen und meinten, er habe sich nur rasiert, weil er auf Freiersfüßen sei, und als ihre Frauen einander Blicke zuwarfen wie Katzen, die gerade den Kanarienvogel verspeist hatten. Cassandra musste es mitbekommen haben, schließlich war sie nicht blind. Aber bislang schien sie all das nicht zu kümmern. Doch er konnte sich nur fragen, was mit Dennis war.
Auf dem Wasser war es noch viel besser, die Sterne anzuschauen, als am Strand. Keine anderen Boote und kein Licht, das ihr Strahlen dämpfte. Als er den Motor abschaltete und
alle Lampen bis auf die Notbeleuchtung ausknipste, hörte er sie bis zur Brücke herauf nach Luft schnappen.
»Nicht schlecht, was?«, meinte er, als er die Leiter herunterkletterte, um sich zu ihr zu gesellen.
Sie nickte nur und schaute nach oben.
Und nun saßen sie hier, schaukelten auf den Wellen, während eine leichte Brise sie kühlte und er spürte, wie ihn der Kokosduft ihres Shampoos hungrig machte - und nicht nur nach etwas Essbarem.
Nach einer Weile holte er ein Bier für sich und eine Diät-Pepsi für sie. Seit dem ersten Mal, als sie an Deck ein Bier mit ihm getrunken hatte, lehnte sie jedes Mal ab, wenn er ihr eines anbot. Deshalb sorgte er dafür, dass er stets eine Diät-Pepsi in seiner Kühltasche hatte, nur für alle Fälle. Als er zurückkam, saß sie aufrecht auf ihrem Stuhl und hatte die Hände in den Schoß gelegt.
»Alles in Ordnung?«, fragte er und wünschte, er könnte ihr Gesicht sehen.
»Hmhm. Hab nur eine Genickstarre.«
Doch die aufgesetzte Fröhlichkeit in ihrer Stimme verriet ihm, dass da noch etwas anderes
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