In dein Herz geschrieben
gedacht hätte. Annie Laurie war das einzig Gute, das Hector aus dieser Ehe mitgenommen hat. Der arme Kerl, er hat alles versucht, sie glücklich zu machen, aber er hätte es wissen müssen. Sie haben sich in Atlantic City kennen gelernt, wo sie herstammt. Immer wieder fahren die Jungs hin, um zu spielen oder was auch immer. Es ist wirklich traurig, wie ein Mann durchdreht, wenn er ein hübsches Gesicht und diesen … wie nennt man das noch mal … Schlafzimmerblick sieht. Oh, auch sie war ziemlich dumm und fand es so romantisch, auf eine Insel mitgenommen zu werden, um dort zu leben.«
Cassandra hätte gern mehr erfahren, wollte jedoch verhindern, dass Jeannie sich fragte, welchen Grund ihre Neugier hatte. Sie kannte ihn selbst nicht einmal. »Oh, doch, tust du«, sagte die Stimme in ihrem Kopf. »Du weißt genau, warum.«
Sie saßen da und sahen zu, wie die Dunkelheit hereinbrach, und als die Leuchtkäfer blinkend durch den Garten zu fliegen begannen, gab es für die Kinder endgültig kein Halten mehr.
Sie liefen herum, versuchten, sie einzufangen, und quiekten jedes Mal vor Begeisterung, wenn es ihnen gelang. Wieder erfasste Cassandra eine Woge des Heimwehs, der Sehnsucht nach ihrer Familie, nach ihrer Kindheit. Manchmal wäre es so schön, ein wenig von alldem zurückzugewinnen.
Cassandra war aufgefallen, dass Annie Laurie zuerst mit den anderen Kindern durch den Garten lief, jedoch jedes Mal, wenn sie zurückkam, aussah, als hätte sie ihre beste Freundin verloren. Inzwischen spielten all die anderen Kinder, während sie allein auf einem umgedrehten Waschzuber saß.
»Was ist denn mit Annie Laurie los?«, erkundigte sich Jeannie.
»Genau das habe ich mich auch gerade gefragt. Vorhin war sie noch so aufgedreht.« Sie spürte Jeannies Blick auf sich und war dankbar für die Dunkelheit.
»Sie ist völlig verrückt nach dir«, stellte Jeannie fest.
Oh je, dachte Cassandra und fürchtete sich vor einer Gardinenpredigt im Doris-Stil.
»Es tut ihr gut, eine Frau in ihrem Leben zu haben. Ich verstehe nicht, wieso Hector sich nicht endlich von Lilah scheiden lässt und wieder heiratet.«
Einen Moment lang war Cassandra nicht imstande, sich zu bewegen oder auch nur zu atmen. Jeannies Stimme und das Kreischen der Kinder wichen einem dumpfen Rauschen in ihren Ohren. Wie erstarrt saß sie da und blickte durch einen langen, stillen Tunnel auf eine Welt, in der schlagartig alles auf den Kopf gestellt war. Er war immer noch verheiratet?
Es grenzte an ein Wunder, dass sie ihre Beine dazu brachte, sich zu bewegen, ihr Gewicht zu tragen. »Entschuldige bitte, Jeannie, ich muss kurz zur Toilette.« Augenblicke später schloss sich die Badezimmertür hinter ihr, sie stand vor dem Waschbecken und starrte die dämlichste Idiotin der Welt an, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte.
Panik stieg in ihr auf, und sie hatte nur einen Gedanken:
So schnell wie möglich weg von hier, weit weg, um ihm nicht mehr ins Gesicht sehen zu müssen. Doch dann hielt sie inne. Wofür sollte sie sich schämen? Sie hatte doch nichts falsch gemacht, also bestand kein Grund, die Beine in die Hand zu nehmen und zu verschwinden. Nein, zur Abwechslung würde sie bleiben, und nicht nur das - sie würde jetzt hinausgehen und diesem Mann einmal anständig die Meinung sagen.
44
»Oh, Mann«, sagte Reg, was Warnung genug für Hector war, um sich genau in der Sekunde umzudrehen, als Cassandra mit flammend rotem Gesicht auf ihn zumarschierte. »Ich muss mit dir reden.«
Ike lachte. »Was kann man da sagen, Junge?«, meinte er, wurde jedoch schlagartig ernst, als Cassandra ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. Seine Brüder blickten Hector an, als stünde er vor einem Exekutionskommando.
Cassandra hatte bereits kehrtgemacht und stapfte in Richtung Haus, so dass Hector nichts anderes übrig blieb, als ihr zu folgen. Noch vor wenigen Minuten hatte sie ihn angelächelt. Was konnte passiert sein? Das konnte man bei Frauen nie sagen. Hatte sein Vater nicht immer gemeint, man solle gar nicht erst versuchen, sie zu verstehen, weil man ohnehin den Verstand darüber verlieren würde? Das Beste sei, einfach den Mund zu halten, ihre Anweisungen zu befolgen, bis sie außer Sichtweite seien, und dann wieder das zu tun, was man wollte, hatte er immer gesagt. Hector war klug genug gewesen, seinem Vater nicht zu widersprechen, hatte nicht einmal den Versuch unternommen, ihn davon zu überzeugen, dass nichts so einfach sein konnte.
Sie ging voran durch den Garten. Es
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