In dein Herz geschrieben
stieg. Augenblicklich übernahm ihr Magen das Kommando, und sie griff nach der Gabel, ehe sie zögerte. Sie hatte sich so wacker geschlagen mit ihrer Diät und keine Lust, die verlorenen zwanzig Kilo sofort wieder auf die Hüften zu bekommen.
»Was ist los?«, fragte der Mann und machte sich über seine Schweinerippchen her.
»Nichts.« Eine Mahlzeit würde sie schon nicht umbringen. Sie spießte einen anständigen Bissen Brötchen mit Bratensauce auf und schob sich die Gabel in den Mund.
»Gut?«, fragte er, während das Grinsen wieder auf seinem Gesicht erschien.
Gut? Oh Gott, dachte sie und schloss die Augen. Gut war gar kein Ausdruck. Es gab nichts Köstlicheres als diese perfekte Mischung aus Fett, Salz und Brot. Wie hatte sie all das für einen Mann aufgeben können? Kein Mann war dieses Opfer wert, nicht Dennis, ja, noch nicht einmal Russell Crowe.
Sie aß, als wäre sie halb verhungert. Sie war es leid, immer nur zu tun, als ob, und ständig zu versuchen, unsichtbar zu sein, in der Hoffnung, dass niemand bemerkte, wie viel Platz sie auf dieser Welt einnahm. Oder vielleicht hatte sie auch immer nur gehofft, dass es endlich jemand merkte. Wie auch immer - sie würde dieses Versteckspiel nicht länger mitmachen. Als sie fertig war, wünschte sie, sie hätte noch ein wenig Platz im Magen, um das Ganze mit einer Portion Schokolade abzurunden, aber sie bekam keinen Bissen mehr hinunter. Sie lehnte sich zurück, noch immer leicht benommen vom Champagner und all den Kalorien, und musterte mit zusammengekniffenen Augen das Namensschild auf der Brust des Mannes. »Hector?« Er nickte. »Ich möchte Ihnen danken. Sie haben mir heute Abend das Leben gerettet.«
»Gern geschehen.« Er stützte die Arme auf den Tisch und sah sie mit ernster, ruhiger Miene an. »Haben Sie die geringste Ahnung, wo Sie hinwollen? Ich weiß, dass Sie ans Meer wollten, aber ich kann Sie schließlich nicht an einem öffentlichen Strand absetzen.«
Könnten sie beide nicht einfach hier sitzen bleiben, bis die Sonne aufging, Kaffee trinken und reden oder auch schweigen? Sie könnten sich den Nachtschwärmern anschließen, diesen
alten Knaben an der Theke. Sie wollte nicht allein sein, andererseits konnte sie diesen armen Mann auch nicht die ganze Nacht in Beschlag nehmen, nur weil sie einen miesen Tag hinter sich hatte. Ruth Ann hatte gemeint, sie solle Tante May und Onkel Walton in Salter Path anrufen, aber Cassandra sah sich nicht imstande, ihnen gegenüberzutreten. Bei einem Fremden dagegen fiel es ihr leichter. »Könnten Sie mir ein anständiges Hotel empfehlen?«
»Ein Freund von mir betreibt das Sandra Dee Motel in Emerald Isle. Es ist nicht mal fünf Minuten von hier. Nichts Aufregendes, aber sauber ist es allemal.«
»Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich Ihre Hilfe noch länger in Anspruch nehme.«
»Es liegt auf meinem Nachhauseweg. Hören Sie, sollten Sie nicht vielleicht jemanden anrufen und sagen, wo Sie sind?«
»Das habe ich schon getan. Ich habe versprochen, sie wissen zu lassen, wo ich gelandet bin.« Wie ein Vogel, dachte sie. Einer von denen, die ständig über dem Meer herumfliegen und kaum jemals einen Fuß an Land setzen. Genauso fühlte sie sich im Moment - wie ein Vogel, der vom Wind getragen wurde, ohne weit und breit etwas zu sehen, woran er sich festhalten konnte. Wieder machte sich die Leere in ihrem Innern bemerkbar. Sie konzentrierte sich auf das einzig Greifbare, das ihr für den Augenblick geblieben war - Hector. Sie liebte die Art, wie Männer sich vorbeugten und ihre Geldbörse aus der Gesäßtasche zogen. Kein Herumkramen in der Handtasche wie bei Frauen. Er legte Geld auf den Tisch, und als er den Kopf hob und »fertig?« sagte, nickte sie. Als er sich erhoben hatte, wartete er neben ihrem Stuhl, bis sie sicher auf den Beinen stand, dann legte er eine Hand um ihren Ellbogen und führte sie nach draußen zum Laster.
»Sieht ganz so aus, als bekämen wir morgen früh Regen«, stellte er fest.
Cassandra legte den Kopf in den Nacken, um zum Himmel
hinaufzusehen, was sich als schwerer Fehler erwies, da sich das Schwindelgefühl augenblicklich wieder einstellte.
»Vorsicht«, mahnte Hector und legte ihr den Arm um den Rücken.
Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte sie sich, wieder ein kleines Mädchen zu sein, die Arme zu heben und »trag mich« zu sagen. Doch Hector war nicht ihr Daddy, und sie war kein kleines Mädchen. Wenn sie von hier wegkommen wollte, würde sie schon ihre Füße
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