In dein Herz geschrieben
nicht.
»Was?«
»Bitte bleiben Sie. Nur bis ich eingeschlafen bin.«
Gütiger Gott, er hatte noch nie jemanden gesehen, der so traurig war. Nein, das war nicht das richtige Wort. Was dann? Annie Laurie hatte den passenden Ausdruck erst kürzlich benutzt, um eine Figur aus einem ihrer Bücher zu beschreiben. Dieses Mädchen und ihre hochtrabenden Vokabeln. Verloren, das war es gewesen. Genau so sah diese Frau aus, verloren und
reizvoll, ein Anblick, der ihm das Herz zerriss. Er hob die Hand und legte sie auf ihre Wange, ehe er sich aus einer spontanen Eingebung heraus vorbeugte und sie küsste. Ein mitfühlender Kuss auf die Wange, das war alles. Zumindest wäre es das gewesen, hätte sie nicht den Kopf gewandt, so dass seine Lippen stattdessen ihren Mund berührten. Sie erstarrten, blickten einander mit aufgerissenen Augen an, ehe er Atem schöpfte und registrierte, dass er außerstande war, sich ihrem Duft zu entziehen. Er schloss die Augen und wartete auf ein Zeichen, das ihm sagte, was er als Nächstes tun sollte. Sie legte ihm die Hand auf die Brust und seufzte, und er war verloren. Er musste sie küssen, diesmal richtig, und sie erwiderte seinen Kuss.
Es war falsch, das wusste er, auf so vielfältige Weise falsch, aber sie fühlte sich so gut an, so weich, so warm, und sie schmeckte so süß. Es würde so ein gutes Gefühl sein, alles zu vergessen, all die Probleme und die Wenns und Abers, und sich einfach eine Weile in sie fallen zu lassen.
Mein Gott, dachte er und löste sich abrupt von ihr. Was war nur in ihn gefahren? Wie hatte er vergessen können, dass sie füreinander Fremde waren? Dass sie betrunken war und nicht wusste, was sie da tat? Sie legte die Hände um seinen Hinterkopf und zog ihn wieder an sich, und er ließ es geschehen, wenn auch nur für eine Minute. Er wollte nicht aufhören, glaubte nicht, dass er sich je in seinem Leben so sehr gewünscht hatte, mit etwas weiterzumachen, doch es war nicht richtig.
»Tut mir leid.« Er löste ihre Hände und hielt sie fest. »Ich hätte das nicht tun dürfen.«
Sie sah ihn nur an und wartete.
»Hören Sie zu«, sagte er, »ich werde Sie nicht verlassen, okay? Ich bleibe hier, bis Sie eingeschlafen sind.« Er griff um sie herum, schlug die Decke zurück und zwang sie, sich zu setzen, so dass er ihre Beine ins Bett hieven konnte. Er deckte sie zu und trat einen Schritt zurück.
»Nein!« Sie ergriff seine Hand.
»Ich gehe nirgendwo hin. Ich werde mich hier auf diesen Stuhl setzen.«
»Sie können sich aufs Bett legen. Auf die Decken. Ich vertraue Ihnen.« Sie griff hinter sich, zog ein Kissen unter der Tagesdecke hervor und legte es neben sich, ehe sie zu ihm aufsah.
Verdammt verloren, dachte er. Wie sollte er sich dem entziehen? Er trat um das Bett herum, legte sich mit dem Rücken zu ihr und betete, sie möge bald einschlafen.
»Ich glaube, jetzt kann ich schlafen. Danke«, sagte sie. »Hector.«
Er knüllte das Kissen unter seinem Kopf zurecht und spürte mit einem Mal einen Anflug von Verärgerung. Da bin ich aber froh, dass wenigstens einer von uns eine Mütze voll Schlaf bekommt, schoss ihm durch den Kopf.
Ein Lichtschimmer, der durch die Vorhänge fiel, weckte ihn. Im ersten Moment dachte er, es sei die Parkplatzbeleuchtung, doch dann registrierte er, dass der Morgen dämmerte. Die Uhr auf dem Nachttisch verriet, dass es sechs Uhr war. Großer Gott. Er hatte die ganze Nacht hier geschlafen. Gerade als er sich aufrichten wollte, spürte er etwas hinter sich und sah über die Schulter. Sie hatte sich an seinen Rücken geschmiegt und schlief tief und fest. Hector ließ den Kopf wieder auf das Kissen sinken. Das Letzte, was er wollte, war, aufzustehen und diesen warmen Körper neben sich zurückzulassen. Es war lange her, dass er neben einer Frau aufgewacht war.
Doch dann malte er sich aus, wie sie sich fühlen musste, wenn sie neben einem wildfremden Mann aufwachte, und rutschte vorsichtig Richtung Bettkante. Möglichst lautlos glitt er aus dem Bett, stand da und sah sie an - sie hatte die Knie angezogen und die Hände unter die Wangen gelegt. Er hoffte nur, dass sie sich an nicht allzu viel erinnern würde. Sie wäre entsetzt. Aber wenigstens würde sie sich keine Vorwürfe machen
müssen, die Nacht mit einem Fremden verbracht zu haben, da er längst in Bush River wäre, wenn sie aufwachte. Wenigstens, was das betraf, wäre er ein Gentleman. Und er würde Glenn anrufen und ihn bitten, die Limousine abzuschleppen, einen Blick darauf zu
Weitere Kostenlose Bücher