In dein Herz geschrieben
zurückzog, und bückte sich. Da, direkt vor ihren Füßen. Sie hielt den Arm ins Wasser und bekam das Ding zu fassen, bevor die nächste Welle heranschwappte.
Die Muschel war riesig, die größte, die sie jemals außerhalb eines Souvenirladens entdeckt hatte. Es war eine Wellhornschnecke, dick und alt und mit abgeschliffenen Kanten, aber ohne Löcher und zersplitterte Ränder. Sie war wunderschön, cremefarben mit gelblichen Streifen. Sie drückte sie an ihre Brust und ließ den Blick übers Meer schweifen, so hingerissen, dass sie alles andere vergaß. Mit einem Mal durchbrach ein Schatten nur wenige hundert Meter vor ihr die Wasseroberfläche. Ein dunkler, geschwungener Schemen, dann ein zweiter. Delfine! Das war zu viel. Sie schirmte die Augen mit der Hand ab und wartete. Sekunden später sah sie sie durchs Wasser pflügen, diesmal ein Stück weiter den Strand hinunter. Cassandra stand da und sah ihnen nach, bis sie aus ihrem Blickfeld verschwunden waren.
Sie war sprachlos vor Glück. Die Sonne war herausgekommen, sie hatte eine riesige Muschel gefunden, hatte Delfine gesehen, und all das innerhalb einer halben Stunde. Das konnte doch kein Zufall sein. Es musste etwas zu bedeuten haben.
Danke, lieber Spartakus, dachte sie. Oder wie du auch heißen magst.
Cassandra war gerade fünf Minuten in ihrem Zimmer, als jemand an die Tür klopfte. Sie erstarrte. Wer wusste, dass sie hier war? Außer dem rothaarigen Fremden, Hector, niemand. Wieso sollte er zurückgekommen sein? Weil er mehr wollte als das, was er letzte Nacht bekommen hatte? Herrgott, hör auf, so einen Blödsinn zu denken, schalt sie sich. Es war helllichter Tag, und sie war in einem Hotel inmitten von Menschen. Sie ging zur Tür. »Wer ist da?« Sie kam sich ein wenig wie Rotkäppchen vor.
»Der Abschleppwagen, Ma’am. Ich hab Ihren Wagen hier.«
Sie riss die Tür auf und tatsächlich: Dennis’ Limousine stand auf dem Parkplatz, auch wenn sie neben den Pickups und Kombis reichlich deplatziert wirkte. Ein Mann in einem grauen Overall, auf dessen Brusttasche der Name Glenn eingestickt war, stand neben einem Abschleppwagen mit der Aufschrift Glenn’s Pannen- und Abschleppdienst . Der Motor lief, und der Mann mit dem hübschesten dichtesten weißen Haarschopf, den sie je gesehen hatte, schien es eilig zu haben.
»Ich hab ihn auch aufgetankt, Ma’am, damit Sie gleich weiterfahren können.«
»Moment«, sagte sie, unsicher, was sie sagen sollte.
»Es kostet nichts, Ma’am. Das ist schon erledigt worden. Sie haben doch die Schlüssel, ja?«
»Wie bitte?« Sie sah ihn verwirrt an. Was war hier los? »Einen Augenblick.« Sie machte sich auf die Suche nach dem Schlüssel. Sekunden später zog sie ihn aus dem Seitenfach ihrer Handtasche. »Oh ja«, sagte sie und hielt ihn in die Höhe.
»Dann schönen Tag noch.« Er wandte sich um und trabte zu seinem Laster.
Er wollte gehen. Aber das konnte doch nicht alles gewesen sein. Sie nahm ihre Handtasche. »Warten Sie. Ich möchte Ihnen noch etwas geben. Wegen der Umstände«, rief sie ihm nach.
»Wie gesagt, Ma’am, ist schon erledigt.« Er sprang in den Wagen, legte den Gang ein und rauschte davon.
Sie winkte ihm nach, dann stand sie im Türrahmen und betrachtete die Limousine. Nach einer Minute machte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit. Das war der endgültige Beweis. Ein Mann, der eine Frau nur ausnutzen wollte, würde sich niemals die Mühe machen und am nächsten Tag ihren Wagen abschleppen lassen. Jetzt konnte sie endgültig beruhigt sein.
Es sei denn, er hatte es aus schlechtem Gewissen getan.
Hör auf, Cassandra! Du denkst schon wieder viel zu weit.
Es sah ganz so aus, als kämen ihr bevorzugt Männer mit lustigen Namen zu Hilfe. Hector und Spartakus. Mittlerweile war ihr wieder eingefallen, dass Kirk Douglas den Spartakus in so einem alten Sandalenfilm gespielt hatte. Sie würde in die Bibliothek gehen und in einem Buch zur antiken Mythologie nachschlagen müssen. Doch der Klang des Namens gefiel ihr. Spartakus. Es hörte sich so stark an und so freundlich. Ein klein wenig wie Hector.
Sie schloss die Tür und stellte ihre Handtasche auf die Kommode, dann setzte sie sich auf die Bettkante und fixierte das Telefon. Sosehr sie sich auch davor fürchtete, war ihr klar, dass sie Ruth Ann anrufen musste. Sie ging davon aus, dass ihre Schwester sie noch mehr unter Druck setzen würde, nachdem ein Tag vergangen war und sie Zeit gehabt hatten, die Situation auf sich wirken zu lassen,
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