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In dein Herz geschrieben

Titel: In dein Herz geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Duncan Andrea Brandl
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nach, das Regal mit den Schildkrötenfigürchen sollte dringend abgestaubt, die Staubflocken unter Waltons Fußhocker entfernt werden. Er weigerte sich beharrlich, sich einen dieser herrlichen Lederklappsessel zuzulegen, wie ihn die meisten anderen Männer hatten. Nein, er musste dieses alte, zerschlissene Ding mit dem Hocker behalten, der seiner Mutter gehört hatte und dessen Bezug schon so dünn war, dass an manchen Stellen die Füllung herausquoll. Und ließ er sie einen Schonbezug darüber geben? Oh nein. Ebenso wenig bekam sie einen Teppich, damit die Wollmäuse auf dem alten Holzboden nicht zu sehen wären. Starrköpfig, starrköpfig, starrköpfig.
    May löste den Blick von Waltons Sessel, richtete ihn wieder auf die Fernbedienung auf dem Fernseher und versuchte, sie mittels Willenskraft zu bewegen, von allein zu ihr herüberzuschweben.
Sie wusste, dass so etwas möglich war. Es gab Menschen, denen das bereits gelungen war, und eines Tages würde auch sie es schaffen. Sie hatte festgestellt, dass sie ihre Energie zu sehr vergeudete, indem sie ständig versuchte, Löffel zu verbiegen, das Telefon zum Läuten zu bewegen und verlorene Dinge wiederzufinden. Als Anfängerin war es am klügsten, sich nur auf eine Sache zu konzentrieren, dafür zu sorgen, dass sie sie wirklich beherrschte, und sich anschließend anderen Dingen zuzuwenden. Sie konnte sich Waltons Gesicht vorstellen, wenn sie nach dem Abwasch aus der Küche käme und sich ganz ruhig hinsetzen würde, statt zum Fernseher zu gehen und die Fernbedienung zu nehmen. Nach ein oder zwei Minuten würde er sich wundern, weshalb der Fernseher noch nicht lief, und von seiner Zeitung aufblicken, wobei seine Brauen nahezu vollständig unter seinem Haaransatz verschwunden wären. Er würde sehen, wie sie den Fernseher fixierte. »May?«, würde er sagen und ebenfalls zum Fernseher sehen, um herauszufinden, was sie anstarrte. Und genau dann würde es passieren. Die Fernbedienung würde sich bewegen, dann wieder aufhören, dann erneut bewegen, ehe sie sich langsam heben würde und durch den Raum auf sie zugeschwebt käme. Und wenn sie sich dicht vor ihr befände, würde sie die Hand ausstrecken, so dass sie sich herabsenkte und sanft in ihrer Handfläche landete. Sie konnte es kaum erwarten, Waltons Gesicht zu sehen. Im ersten Moment wäre er bestimmt schockiert, doch sie war sicher, dass er ihr Talent ebenso zu schätzen wissen würde wie sie selbst, denn er würde sich nie mehr die Mühe machen müssen, aufzustehen, um seine Brille, seine Tabletten oder seinen Schnupftabak zu holen.
    Ja, wenn sie nur fleißig übte, würde sich die mentale Disziplin irgendwann bezahlt machen. Aber die Uhr verriet, dass ihre Übungsstunde für heute beendet war. Jetzt ging es darum, Wäsche aufzuhängen und das Abendessen vorzubereiten.
Sie stand auf, stemmte die Hände in die Hüften und lehnte sich zurück, um sich zu strecken. Eine Viertelstunde vollkommen reglos dazusitzen war reichlich anstrengend, aber auf lange Sicht zweifellos der Mühe wert. Sie warf einen letzten Blick auf die Fernbedienung. Und genau in dieser Sekunde läutete das Telefon. May erstarrte. Das Telefon stand auf einem Tischchen in der Diele, lediglich durch die Wand vom Fernseher getrennt. War das möglich? Hatte sie die Fernbedienung so konzentriert angesehen, dass sich ein Teil der Energie auf das Telefon übertragen hatte? Nach dem dritten Läuten löste sie sich aus ihrer Erstarrung und setzte sich eilig in Bewegung. Sie hatte so ein seltsames Gefühl, nicht nur, weil sie möglicherweise das Läuten ausgelöst hatte. Nein, es war wieder dieses Gefühl, dass etwas passieren würde, dieses Gefühl, das sie schon beim Frühstück gehabt hatte, mit einem Unterschied: Was sich zuvor angekündigt hatte, war bereits eingetroffen.

12
    Doris glaubte nicht, dass sie es noch länger ertragen konnte. Die Schmerzen waren so schlimm geworden, dass sie sich nicht mehr auf Dinge wie das Wechselgeld oder den Verkauf von Hot Dogs konzentrieren konnte. Ganz still auf ihrem Stuhl sitzen, das war das Einzige, was sie noch konnte. Zum Glück war es ein ruhiger Tag. Sie hatte den großen Ventilator so ausgerichtet, dass er direkt auf sie zeigte, da ihr vorhin noch entsetzlich heiß gewesen war, doch nun fröstelte sie und schauderte sogar ein wenig vor Kälte.
    Annie Laurie hockte in einer Nische und hatte die Nase wie immer in ein Buch gesteckt, trotzdem würde sie es merken, wenn jemand hereinkäme. Doris trat auf den Pier

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