In dein Herz geschrieben
Dennis oder ihre eigene Familie zu alldem zu sagen hatten? Keiner von ihnen wäre daran interessiert, ihre Meinung zu hören. Sie zögerten keine Sekunde, sie vollzuquatschen, über ihre Probleme, ihre Gefühle und all das, aber kaum machte Cassandra Anstalten,
über sich zu reden, über Dinge, die ihr Sorgen bereiteten, waren sie entweder taub oder taten so, als mache sie aus einer Mücke einen Elefanten. So wie damals im März, als Cassandra versucht hatte, mit Ruth Ann über ihren Traum zu reden, über ihre Angst, den falschen Mann zu heiraten. »Du siehst zu viel fern«, hatte Ruth Anns einziger Kommentar dazu gelautet.
Das Hotelbriefpapier lag in einer Schublade des Tisches neben dem Fernseher. Cassandra hatte es immer amüsiert, dass es in Hotelzimmern so etwas gab, da sie niemanden kannte, der lange genug in einem Hotel blieb, um einen Brief schreiben zu müssen. Vielleicht eine Postkarte. Aber siehe da, sie setzte sich an den Tisch, um auf einem Papier, dessen Briefkopf die Worte Herzliche Grüße aus dem Sandra Dee Motel zierten, einen Brief an Dennis zu verfassen. Als sie fertig war, kritzelte sie eine Nachricht für A. J., in der sie ihn informierte, wo er den Schlüssel der Limousine fand, und ihn bat, ihre eigenen Wagenschlüssel an der Rezeption zu hinterlegen. Dann nahm sie ihren Brillantring ab, steckte ihn mit den Wagenschlüsseln in einen Umschlag und klebte ihn zu.
Sie klemmte die Nachricht und den Brief unter die Windschutzscheibe der Limousine, ehe sie ins Büro ging. Da niemand hinter dem Empfangstresen stand, betätigte sie die kleine Glocke und wartete. Im Hinterzimmer lief ein Fernseher, woraus sie schloss, dass sich dort die Wohnung des Hotelmanagers oder -besitzers befinden musste. Außerdem grillte jemand offenbar ein Steak. Es roch köstlich, und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie immer noch nichts gegessen hatte.
Ein kahlköpfiger Mann erschien und wischte sich die Hände ab. »Hallo«, sagte er.
»Hallo. Ich wohne in Zimmer 102.«
»Ja.«
Oh Gott, hatte er sie gestern Abend etwa gesehen? Wusste
er, dass sie mit einem fremden Mann hier angekommen war?
»Kann ich Ihnen helfen?«
Er grinste nicht vielsagend, sondern wartete lediglich mit einem freundlichen Lächeln, das seine schönen Zähne entblößte. Er sah irgendwie vertraut aus. Wieso kam er ihr nur so bekannt vor? Und dann fiel es ihr wieder ein. »Jetzt weiß ich es«, sagte sie. »Sie sind der Holiday-Inn-Mann.«
Er lachte. »Das war ich früher. Jetzt bin ich der Sandra-Dee-Mann. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Der Holiday-Inn-Mann. War dies ein weiteres Zeichen? Zuerst Spartakus und die Muscheln und jetzt das. Oh je, dachte sie, man sollte mich wegsperren. »Hier«, sagte sie und schob den Umschlag über den Empfangstresen, auf den sie A. J. Payne geschrieben hatte.
Er betrachtete zuerst den Umschlag, dann sie. »Ja?«
»Mein Schwager kommt vorbei, um den Wagen abzuholen, aber ich werde nicht hier sein. Könnten Sie ihm das hier geben?«
»Natürlich.« Er ließ den Umschlag unter dem Tresen verschwinden. »Noch etwas?«
Was jetzt?, dachte Cassandra. Er wollte zu seinem Steak und seiner Fernsehsendung zurück, das war nicht zu übersehen. Sie wünschte, er würde ihr etwas von seinem Essen anbieten, aber das wäre ziemlich verrückt. Außerdem musste sie in ihr Zimmer zurück, bevor A. J. auftauchte. »Nein. Nein, danke.«
Sie kehrte in ihr Zimmer zurück, schloss die Tür ab, schaltete sämtliche Lichter aus und legte sich aufs Bett. A. J. würde denken, sie sei nicht da, die Limousine nehmen, ihre Schlüssel an der Rezeption hinterlegen und nach Hause fahren. So einfach war das. Dann wäre sie allein, und keiner würde ihr mehr auf die Nerven fallen. Genau das, was sie wollte. Als sie auf dem Bett lag und wartete, fühlte es sich an, als überwinde
die Matratze die Schwerkraft und schwebe an die Decke, durch das Dach, hinauf in den Himmel, immer weiter empor, bis sie nur noch ein winziger Punkt am Horizont war, ein kleiner Fleck, den nichts und niemand halten und wieder auf die Erde zurückbringen konnte.
16
Lieber Dennis,
ich weiß noch nicht einmal, was ich sagen soll, außer, dass es mir leid tut. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Es ist einfach passiert. In der einen Minute wollte ich noch den Gang entlang zum Altar gehen, und in der nächsten habe ich im Wagen gesessen und bin davongefahren. Du kannst mich nur hassen, weil ich von der Hochzeit weggelaufen bin und deinen Wagen gestohlen
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