In dein Herz geschrieben
habe ich schon immer gehasst. Meine Mutter hat das auch immer gesagt.«
»Tja, wir können ihn noch so hassen, stimmen tut er trotzdem.«
Es war nicht die Art, wie er mit über dem Bauch gekreuzten Armen vor ihr stand, die sie an diese Buddha-Figuren vom Flohmarkt denken ließ. Er war viel zu mager, um wie ein Buddha auszusehen. Nein, es war dieser Ausdruck auf seinem Gesicht, dieses fast alberne kleine Lächeln, als glaubte er im Ernst daran, dass am Ende alles gut werden würde, auch wenn es im Moment nicht so aussah. Natürlich lebte er länger hier als sie und würde auch hierbleiben, wenn sie längst nach Hause zurückgekehrt wäre, deshalb musste er wohl oder übel einen
Weg finden, um sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Aber sie war trotzdem wütend, und wäre sie an seiner Stelle, wollte sie verdammt sein, wenn sie nicht einen Weg fände, etwas dagegen zu unternehmen.
20
Jemand war ins Zimmer gekommen, während sie geschlafen hatte. Doris hörte die Leute, wie sie auf dem Stuhl neben dem Bett saßen und atmeten, und wünschte, sie würden verschwinden. Ihr war nicht nach Gesellschaft zumute. Wussten die denn nicht, wie unangenehm es für einen Kranken war, wenn man einfach auftauchte, ohne vorher Bescheid zu geben? Sie verabscheute es, demjenigen auf Gedeih und Verderb ausgesetzt zu sein, wer es auch sein mochte.
Moment mal. Was war das für ein Geruch? Fisch! Sie riss die Augen auf und wandte den Kopf. »Harry Jack Triton!«
Er war eingenickt, schreckte jedoch beim Klang seines Namens hoch. »Hhn?« Blinzelnd sah er sich um.
Sie hatte ihn noch nie in einem Anzug gesehen, und obwohl er aussah, als sei er ein klein wenig geschrumpft, seit er ihn das letzte Mal angehabt hatte, sah er nett aus. Zu schade, dass er sich nicht vorher gewaschen und von diesem Gestank befreit hatte. »Das hier ist keine Totenwache«, sagte sie. »Du hättest dir keinen Anzug anzuziehen brauchen.«
»Das wusste ich doch nicht, oder? Bei Leuten in deinem Alter muss man auf alles vorbereitet sein, wenn man hört, dass sie krank sind.«
Doris zog das Laken ein Stück weiter herauf. »Du hättest ruhig vorher noch duschen können. Du stinkst wie ein Fischfilet.«
»Ach ja? Das muss an der Mütze liegen.« Er zog sich die John-Deere-Mütze vom Kopf, hielt sie sich vor die Nase und roch an mehreren Flecken. »Stimmt«, sagte er und legte sie hinter sich aufs Fensterbrett. »Also.«
Sie konnte sich nicht erinnern, ihn je ohne seine Mütze gesehen zu haben, und er sah ganz anders aus ohne sie. Vielleicht lag es ja daran, dass sie nun sein Gesicht vollständig erkennen konnte. Seine Brauen wirkten wie buschige graue Schnurrbärte über seinen hellblauen Augen, die nun auf sie gerichtet waren. »Was siehst du an?«
»Eine schöne Frau«, erwiderte er mit todernster Miene.
»Oh Gott, sieh zu, dass du hier rauskommst. Für diesen Unsinn habe ich wirklich keine Zeit. Merkst du denn nicht, dass ich krank bin?« Ihr ganzer Kopf schien auf einmal vor Hitze zu glühen.
Er musterte sie noch eingehender. »Du siehst gar nicht krank aus. Wie fühlst du dich?«
»Was glaubst du wohl?«
»Tja, Doris, das kann ich nicht sagen. Aber vielleicht verrätst du es mir ja?«
Doris lag einen Moment lang reglos da. Es ärgerte sie, dass er so ernst war, aber wenn sie einfach nichts mehr sagte, würde er vielleicht irgendwann aufstehen und verschwinden. Doch dann fielen ihr all die endlosen Stunden ein, die er beim Angeln saß, ohne dass jemals ein Fisch anbiss. »Hast du nichts Besseres zu tun, als hier herumzusitzen und zuzusehen, wie ich vor mich hin sieche?«
Er tat so, als dächte er über ihre Frage nach. »Nein, eigentlich nicht«, antwortete er dann. »Ich sitze hier und sieche einfach mit dir.«
»Wie bist du überhaupt hergekommen? Wo ist May?«
»Sie und Walton mussten in den Laden. Ich habe versprochen, dass ich nach dir sehe, solange sie weg sind.«
»Bist du zufällig vorbeigekommen, oder hat May dich angerufen? Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst. Wo ist Annie Laurie?«
»Ich bin zufällig vorbeigekommen, und Annie Laurie ist unten am Pier mit Cassandra.«
»Genau dort sollte ich jetzt auch sein und meine kleine Enkeltochter im Auge behalten.«
»Es ist dir vielleicht noch nicht aufgefallen, aber Annie Laurie ist kein kleines Kind mehr. Außerdem geht es ihr gut. Cassandra kümmert sich um sie. Die beiden sind Freundinnen geworden.«
»Es ist mir egal, dass sie mit May verwandt ist. Ich kenne diese Cassandra
Weitere Kostenlose Bücher