In dein Herz geschrieben
verpasst.«
»Wir sollten uns nicht im Zimmer deiner Großmutter rumtreiben«, sagte Cassandra zu Annie Laurie. Hector war mit Doris zum Arzt gefahren, und sie hatte das Gefühl, sie hätten die Gelegenheit genutzt, um ein wenig herumzuschnüffeln. Zuerst hatte Annie Laurie Cassandra ihr eigenes Zimmer gezeigt, das sich seit Cassandras Kindertagen kaum verändert hatte - derselbe Holzboden, weiße Spitzenvorhänge, eine weiße Chenille-Tagesdecke, zartgrün gestrichene Wände. Annie Laurie ging ums Bett herum vor die Kommode, und Cassandra trat neben sie.
»Es macht ihr nichts aus«, wiegelte Annie Laurie ab, öffnete eine Schublade und zog ein Buch nach dem anderen heraus, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte. »Hier ist es.« Sie hielt die Ausgabe von Misery in die Höhe. »Sie tut immer nur so, als würde sie diese Gruselbücher lesen, und dann legt sie sie hier hinein.«
»Deine Großmutter liest bestimmt viel.«
»Daher habe ich es ja.« Sie reichte Cassandra das Buch und begann, die anderen wieder einzuräumen.
»Was ist das?«, fragte Cassandra und zeigte auf ein dünneres Taschenbuch, das aus dem Stapel gerutscht war.
Annie Laurie hielt es hoch und las den Titel. » Die Gespenster von South Carolina .«
»Das habe ich immer den Kindern meiner Schwester vorgelesen«, sagte Cassandra. »Wir haben uns mit der Taschenlampe an den Strand gesetzt.« Annie Laurie reichte es ihr, und sie blätterte durch die Seiten. Ruth Ann war jedes Mal fuchsteufelswild geworden, weil die Kinder prompt Albträume bekommen hatten, aber sie hatten die Gespenstergeschichten so geliebt und Cassandra ebenfalls.
»Hey!« Annie Lauries Augen begannen zu leuchten. »Das könnten wir doch auch machen. Oma wird mich nicht an den Strand lassen, glaube ich, aber ans Dock könnten wir uns setzen. Lass uns das gleich heute Abend machen, ja?«
Cassandra lachte und dachte, wie wenig doch notwendig war, um ein Kind in Aufregung zu versetzen. »Also gut.«
Während Annie Laurie die restlichen Bücher wegräumte, las Cassandra die Zusammenfassung von Misery . Es klang nach einem Buch, das sie besser bei Tag lesen sollte. »Wer gehört denn zu deinem Buchclub?«, fragte sie.
»Ich, Oma, May, Chester, Skeeter und manchmal Daddy, wenn er nicht arbeitet. Aber meistens kommt er nur zum Kartenspielen.«
»Karten?«
»Eigentlich wollten Oma und ich einen Buchclub gründen wie bei Oprah . Aber May, Chester, Skeeter und Daddy lesen nicht besonders viel. Also hat May gemeint, wieso wir außer Lesen nicht noch andere Sachen machen. May spielt gern Poker. Sie ist ziemlich gut. Aber Granny kann Poker nicht leiden, also spielen wir abwechselnd Poker und Skat. Und weil Oma sagt, dass wir nicht um Geld spielen dürfen, machen wir es mit Hershey-Bonbons.«
Ein Kartenspiel-Buchclub? Sie fragte sich, was Oprah dazu sagen würde. »Und was lest ihr so?«
»Wir wechseln immer ab zwischen spannenden Büchern und solchen, die man eben gelesen haben sollte. Diesmal ist Misery von Stephen King an der Reihe. Chester und May haben es ausgesucht. Es war zwar wirklich gut, aber es hat meine Nerven mächtig strapaziert.«
Cassandra musste sich das Lachen verbeißen. Eine Zwölfjährige, die über strapazierte Nerven redet. Dieses Kind verbrachte eindeutig zu viel Zeit mit alten Menschen.
»Oma trifft die Auswahl nach einer Liste, die sie aus der Bibliothek bekommt. Sie versucht, darauf zu achten, dass ich solche Bücher lese, die mir helfen, mich aufs College vorzubereiten.«
»Und was ist mit Skeeter und deinem Daddy?«
»Skeeter kann nicht besonders gut lesen. Normalerweise erzähle ich ihm nur den Inhalt, damit er weiß, worum es geht. Und Daddy hat, soweit ich weiß, noch nie ein Buch in der Hand gehabt.«
Es wäre interessant zu erfahren, was er aussuchen würde, dachte Cassandra. Ihr Blick fiel auf die Fotos auf der Kommode. Auf einem war eine Frau zu sehen, bei der es sich um Doris handeln musste, mit ihrem Mann am Hochzeitstag. Doris stand kerzengerade da und posierte in ihrem weißen Kostüm. Sie hatte einen Blumenstrauß in der Hand und blickte zu ihrem Bräutigam auf. Er lächelte direkt in die
Kamera, hatte eine Hand um ihren Ellbogen gelegt und die andere in die Hosentasche gesteckt. »Wie hieß dein Großvater?«, fragte sie.
Annie Laurie trat neben sie. »Hubert O’Neal. Er ist gestorben, bevor ich zur Welt kam. Das ist meine Tante Doll. Die ist auch tot.« Sie zeigte auf ein Schwarzweißfoto eines Jungen im Teenageralter und eines
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