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In deinen Armen

In deinen Armen

Titel: In deinen Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Dodd
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ihrem Gesicht zärtlicher Hingabe wich.
    Er wollte all das tun, doch dann fiel sein Blick auf ihrer beider verschlungene Hände, und der Unterschied traf ihn wie ein Schlag. Ihre Finger waren kräftig, die Nägel kurz, die Haut rosig und gesund. Seine Hände waren knochig, von teigigem Weiß, die Hände eines Invaliden. Er hatte gar nicht die Kraft, sie zu nehmen, doch was noch wichtiger war, keine Frau würde ihn so haben wollen.
    Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, der sofort die Panik durch die Gitterstäbe ihres Gefängnisses entweichen ließ. »Wie alt bin ich?«
    »Lass mich überlegen.« Ihre Stirn legte sich in Falten, und sie zählte an den Fingern ab. »Du bist fünfunddreißig.«
    Erleichterung überkam ihn. »Also kein alter Mann.«
    »Nicht im Geringsten.«
    »Aber aufsässig wie der Teufel selbst«, sagte Mrs. Brown.
    Er grinste sie an. »Sie erkennen Ihren Meister, wollen Sie sagen?«
    Mrs. Brown fuhr, nicht im Mindesten gekränkt, mit ihrer Arbeit fort. »Sie sind mir vielleicht ein Teufel, Mr. MacLean.«
    Enid brachte ihm einen Handspiegel.
    Vor allem die Narben versetzten ihm einen Schlag. Über eine Gesichtshälfte liefen kreuz und quer blasse Linien. »Ich sehe aus wie Frankensteins Monster.«
    Sie sagte nichts.
    Er betrachtete ihr regloses, starres Gesicht und fragte: »Was ist?«
    »Du hast
Frankenstein
gelesen?«
    »Ja.«
    »Wer hat ihn geschrieben?«
    »Mary Shelley.« Jetzt verstand er Enid. »Ich weiß nicht, woher ich es weiß; ich weiß es einfach«, sagte er. »Ich kann Bibelverse zitieren, hunderte. Und sämtliche Hamlet-Monologe.« Er machte eine große Geste und deklamierte: »Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage: Ob's edler im Gemüt, Pfeil' und Schleuder des wütenden Geschicks zu erdulden oder, sich zu waffnend gegen eine See von Plagen, …«
    »… durch Widerstand sie enden?«, unterbrach sie ihn. »Ich glaube dir, wenn du sagst, du erinnerst dich an deinen Hamlet.«
    Er sprach weiter. »Ich kann dir auch erklären, wie man Hasen mit der Falle fängt und häutet, und ich beherrsche mindestens ein Dutzend Seemannsknoten. Aber ich erinnere mich nicht, wer ich bin, und das ist es, was ich wissen will.«
    »Ich verstehe.«
    Doch er glaubte nicht, dass sie seine Erklärung akzeptiert hatte, forderte aber insgeheim, dass sie es tat.
    »Also gut!« Sie breitete die Arme weit aus. »Ich verstehe nicht, wie das alles zusammenhängt, das gebe ich zu. Du wirst mir zugestehen müssen, dass ich manchmal an alledem zweifle.«
    »Du kannst bezweifeln, was immer du willst, aber zweifle nicht an mir. Ich bin hier der Einzige, der immer die Wahrheit sagt.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Das sagt mir mein Instinkt.« Sollte sie damit anfangen, was immer sie wollte.
    Er hob wieder den Handspiegel und berührte die Narben leicht mit den Fingerspitzen. Das erklärte, weshalb seine Wange sich unbeweglich und wund anfühlte, wenn er sprach. Er riss die Augen auf, schob den Unterkiefer herum und neigte den Kopf. Der Mann im Spiegel machte die Bewegungen mit, aber er erkannte ihn nicht. Nichts an den herben Gesichtszügen, den blassen Narben und dem dunklen Bartwuchs war ihm vertraut.
    Doch Enid schien an seinem Antlitz nichts Ungewöhnliches entdecken zu können. »Erkennst du dich wieder?«
    »Nein, überhaupt nicht.«
    »Sie sind ein Mann in den besten Jahren«, stellte Mrs. Brown fest, während sie im Zimmer auf und ab marschierte und die Laken wegräumte.
    »Wenn Sie schon einen Hintern wischen müssen, dann wenigstens meinen, oder?«, zog er sie auf.
    Enid schnappte nach Luft. »MacLean!«
    Doch Mrs. Brown kicherte ganz eindeutig. »Ich werde langsam alt, Sir, aber meine Augen sind noch gut, und der Anblick war recht erfreulich.«
    »Mrs. Brown!« Die ältere Frau schien Enid mit ihrer Äußerung sogar noch mehr schockiert zu haben als MacLean selbst.
    MacLean und Mrs. Brown grinsten einander an.
    Enid den Spiegel reichend, sagte er: »Einen Moment lang habe ich mich gefragt, ob ich mein Leben verschlafen habe.«
    »Es zu verspielen wäre eher dein Stil.«
    Er runzelte die Stirn. Er hatte sie nicht verstanden. »Ich spiele nicht.«
    »Es ist eins deiner Laster.«
    Auch das verstand er nicht. Er wusste Bescheid über Karten, wusste von Männern, die ganze Tage und Nächte in verrauchten Zimmern zubrachten und ihr ganzes Hab und Gut auf einen rollenden Würfel setzten, doch er war nicht so. Er verwehrte sich gegen Enids Andeutung, er sei derselbe Schwächling wie … doch der Gedanke

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