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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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einem Pflaster oder willst du lieber weiter Freiheitsstatue spielen?«, fragte ich. Ich stellte den Saft neben ihm ab und dann, nach kurzem Nachdenken, schraubte ich den Deckel ab und hielt ihm die Flasche an den Mund, sodass er einen Schluck trinken konnte. Zum Dank wedelte er mit seinem blutigen Finger.
    »Hab keins gefunden«, erklärte Cole. »Hauptsächlich deshalb, weil ich gar nicht gesucht hab. Ist das da Methanol? Ach ja, guck mal, ist es.«
    Ich besorgte ihm ein Pflaster und rollte einen Drehstuhl für mich heran. Viel Weg musste ich dabei nicht zurücklegen. Das Labor war in Wirklichkeit bloß eine Abstellkammer, mit Regalen und Schubläden voller Probepackungen verschreibungspflichtiger Medikamente, Schachteln mit Gazetupfern, Wattestäbchen und Zungenspateln, Flaschen mit Wundbenzin und Desinfektionsmittel. Ein Gerät für die Urinanalyse, das Mikroskop und einen Blutröhrchen-Rotator. Da blieb nicht viel Platz für zwei Stühle mit zwei Menschen.
    Cole hatte etwas von seinem Blut auf ein Glasplättchen tropfen lassen und betrachtete es jetzt durch das Mikroskop.
    »Wonach suchst du?«, fragte ich ihn.
    Er antwortete nicht; seine Brauen hingen so nachdenklich tief über seinen Augen, dass er mich vermutlich noch nicht mal gehört hatte. Irgendwie gefiel es mir, ihn so zu sehen, wie er einmal nicht die große Show abzog, sondern … einfach Cole war, so sehr es nur ging. Er wehrte sich nicht, als ich seine Hand nahm und das Blut abtupfte.
    »Meine Güte«, sagte ich, »womit hast du dich denn da aufgesäbelt, mit einem Buttermesser?« Ich klebte ein Pflaster auf die Wunde und ließ seine Hand wieder los. Sofort stellte er damit das Mikroskop genauer ein.
    Das Schweigen zwischen uns schien ewig anzudauern, obwohl es in Wirklichkeit wahrscheinlich gerade mal eine Minute war. Cole lehnte sich zurück, sah mich aber nicht an. Er stieß ein ungläubiges Lachen aus, kurz und heiser, die Fingerspitzen wie zu einem Dach zusammengepresst. Dann legte er die Finger an die Lippen.
    »Lieber Gott«, sagte er und dann lachte er wieder dieses abgehackte Lachen.
    »Was?«, fragte ich genervt.
    »Tja – guck selbst.« Cole schob seinen Stuhl zurück und zog stattdessen meinen, mit mir darauf, an seinen Platz. »Was siehst du?«
    Einen feuchten Dreck würde ich sehen, schließlich hatte ich ja keine Ahnung, wonach ich Ausschau halten sollte. Aber ich tat ihm den Gefallen und spähte durch das Mikroskop. Und tatsächlich, Cole hatte recht: Ich sah sofort, was er meinte. Unter der Linse waren Dutzende rote Blutkörperchen zu sehen, farblos und ganz normal. Und dann noch zwei rote Punkte.
    Ich wich zurück. »Was ist das?«
    »Das ist der Werwolf«, sagte Cole. Er zappelte auf seinem Drehstuhl hin und her. »Ich hab’s gewusst. Ich hab’s gewusst. «
    »Was hast du gewusst?«
    »Entweder hab ich Malaria oder so sieht der Wolf aus. Hängt da einfach so in meinem Blut rum. Ich wusste, dass das Virus sich wie Malaria verhält. Ich hab’s gewusst. Mein Gott!«
    Er sprang auf, sitzen bleiben reichte einfach nicht mehr.
    »Na super, du Wunderkind. Und was bitte bedeutet das für die Wölfe? Kann man es dann auch heilen wie Malaria?«
    Cole starrte auf ein Schaubild an der Wand. Es bildete die Wachstumsstadien eines Fötus ab, in so leuchtenden Farben, wie sie vermutlich seit den Sechzigern nicht mehr verwendet wurden. Er wedelte abwehrend mit der Hand. »Malaria kann man nicht heilen.«
    »Erzähl keinen Quatsch«, erwiderte ich. »Es werden doch ständig irgendwelche Leute von Malaria geheilt.«
    »Nein«, widersprach Cole und fuhr die Umrisse eines der Föten mit dem Zeigefinger nach. »Es wird nur verhindert, dass sie daran sterben.«
    »Das heißt also, es gibt gar kein Heilmittel«, sagte ich. »Aber es gibt einen Weg zu verhindern, dass sie … du hast aber doch schon verhindert, dass Grace stirbt. Ich verstehe nicht, was hieran die große neue Erkenntnis sein soll.«
    »Sam. Die Erkenntnis ist Sam. Das hier ist nur die Bestätigung. Ich muss weiterarbeiten. Ich brauche Papier«, stieß Cole hervor und wandte sich mir zu. »Ich brauche …« Er brach mitten im Satz ab, seine Hochstimmung verebbte. Für mich war das alles eine ziemliche Ernüchterung, für eine wissenschaftliche Enthüllung hergekommen zu sein, die sich als so unausgegoren herausstellte und die ich außerdem gar nicht verstand. Und nach Einbruch der Dunkelheit hier in der Klinik zu sein, erinnerte mich an den Abend, an dem Grace und ich Jack

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