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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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vorgebeugt, unsere Hände auf der Rückenlehne meines Sitzes. Sam sagte auch nichts, außer einmal »Ups, ’tschuldigung«, als er zu früh den Gang hochgeschaltet hatte und das Auto anfing zu ruckeln.
    Eine Weile später, als wir im Haus angekommen waren, erzählte ich ihr alles, die ganze Geschichte, von dem Moment an, als die Wölfe mich von der Schaukel gerissen hatten, bis zu dem Tag, als ich in einer Pfütze meines eigenen Bluts lag und beinahe gestorben war. Und alles, was dazwischenlag. Sam wirkte nervöser, als ich ihn je erlebt hatte, aber ich machte mir keine Sorgen. Von dem Augenblick an, als Rachel im Auto meine Hand genommen hatte, hatte ich gewusst, dass sie zu den Dingen in diesem seltsamen neuen Leben gehörte, die ich behalten durfte.

KAPITEL 45
ISABEL
    Ich hatte was gegen Kapitalverbrechen, zumindest dann, wenn eine kleine Gesetzesübertretung völlig ausreichte. Ins Schullabor hätten wir richtig einbrechen müssen. Uns mittels des Ersatzschlüssels aus dem Büro meiner Mutter Einlass in die Klinik zu verschaffen, war nur unbefugtes Betreten. Eine reine Vernunftentscheidung also. Ich hatte meinen Geländewagen auf dem Parkplatz des Supermarkts auf der anderen Straßenseite abgestellt, sodass niemandem, der an der Klinik vorbeifuhr, etwas Ungewöhnliches auffallen würde. Ich hätte wirklich eine hervorragende Kriminelle abgegeben. Tja, vielleicht wurde daraus ja auch was. Schließlich war ich jung und es konnte durchaus sein, dass aus meinen Plänen, Medizin zu studieren, doch nichts wurde.
    Ich bedeutete Cole, vor mir reinzugehen. »Mach hier bloß nichts kaputt«, warnte ich ihn, was gegenüber Cole St. Clair wahrscheinlich nicht viel mehr als ein frommer Wunsch war.
    Cole stakste den Flur hinunter und beäugte neugierig die Poster an den Wänden.
    Die Wohlfahrtsklinik war ein Teilzeitprojekt meiner Mutter, die auch noch im städtischen Krankenhaus arbeitete. Bei der Eröffnung waren die Wände zuerst voller Kunstwerke gewesen, für die bei uns zu Hause kein Platz war oder die sie dort einfach nicht mehr hatte sehen können. Sie wollte, dass die Klinik heimelig wirkte, hatte sie erklärt, als wir frisch nach Mercy Falls gekommen waren. Nach Jacks Tod hatte sie viele der Gemälde von zu Hause verschenkt, und als diese Phase überstanden war, hatte sie die Bilder von den Klinikwänden wieder mitgenommen, um die anderen zu ersetzen. Das heute vorherrschende Dekor der Klinik bezeichnete ich gern als späte pharmazeutische Periode.
    »Ganz den Flur runter und dann rechts«, sagte ich. »Nicht da rein. Das ist die Toilette.«
    Als ich die Tür hinter mir zumachte, erreichte uns noch weniger von dem verblassenden Nachmittagslicht, aber das spielte keine Rolle. Ich schaltete die Neonlampen über uns ein und sofort verschluckte uns die Klinikzeit, in der sich alle Tageszeiten gleich anfühlten. Wie oft hatte ich es meiner Mom schon gesagt: Wenn sie wirklich wollte, dass es in der Klinik »heimelig« war, wären echte Glühbirnen ein großer Schritt in die richtige Richtung – dann hätte das hier schon viel eher einem normalen Haus geähnelt als einem Wal-Mart.
    Cole war bereits im winzigen Labor meiner Mutter verschwunden und ich schlenderte langsam hinterher. Ich hatte zwar die Schule geschwänzt, um Cole sein Päckchen zu bringen, aber ausgeschlafen hatte ich trotzdem nicht – ich war früh aufgestanden und laufen gegangen. Dann hatte ich Cole geholfen, seine unglaublich professionell aussehende Falle aufzubauen, und mich bemüht, dabei nicht in die Grube zu fallen, aus der sie, wie er sagte, Grace gefischt hatten. Und dann waren wir hierhergefahren und hatten darauf gewartet, dass die Klinik zumachte, damit wir reingehen konnten, während meine Eltern glaubten, ich wäre bei einer Schülerratsversammlung. Eine Pause hätte ich jetzt wirklich gut brauchen können. Besonders viel gegessen hatten wir auch nicht, sodass ich mir langsam vorkam wie Sankt Isabel, Märtyrerin der Werwölfe. Im Empfangszimmer blieb ich stehen und öffnete den kleinen Kühlschrank unter der Theke. Ich schnappte mir zwei Flaschen Saft und nahm sie mit. Saft war besser als gar nichts.
    Im Labor hockte Cole bereits rücklings auf einem Stuhl und beugte sich über den Tisch mit dem Mikroskop. Er hatte eine Hand erhoben und deutete mit dem Zeigefinger an die Decke. Es dauerte einen Moment, bis ich begriffen hatte, dass er sich in den Finger gestochen hatte und nun darauf wartete, dass es aufhörte zu bluten.
    »Wie wär’s mit

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