In deinen Augen
was er liebte. In Wirklichkeit aber ging die Geschichte so: Es war einmal ein Junge, den zerfraß seine Angst bei lebendigem Leib.
Ich hatte es so satt, mich zu fürchten. Es hatte in jener Nacht angefangen, mit mir und meiner Gitarre in der Badewanne, und es würde damit enden, dass ich mich wieder in meiner Wolfsgestalt verlor. Ich würde keine Angst mehr haben.
»Verdammt«, murmelte Beck, so leise wie ein Seufzer. Die Wärme konnte ihn nicht länger halten. Wieder hockten wir da, Stirn an Stirn, Vater und Sohn, Beck und Sam, so wie es immer gewesen war. Er war Teufel und Engel in all ihren Gestalten.
Ich flüsterte: »Sag mir, dass wir dich heilen sollen.«
Becks Fingerspitzen wurden erst weiß, dann rot, als sie sich in den Boden pressten. »Ja«, sagte er leise und ich wusste, dass er es meinetwegen tat, nur meinetwegen. »Tut, was nötig ist.« Er sah zu Cole hoch. »Cole, du bist –«
Und dann riss seine Haut auf, mit einem heftigen Ruck, und ich sprang auf, um den Heizlüfter aus dem Weg zu schubsen, bevor Beck zuckend zu Boden stürzte.
Cole trat vor und stach Beck eine zweite Nadel in die Armbeuge.
Und in diesem Bruchteil einer Sekunde, als Beck das Gesicht zur Decke wandte, seine Augen unverändert, sah ich darin mein eigenes.
KAPITEL 56
COLE
EPINEPHRIN / PSEUDOEPHEDRIN, MISCHUNG NR. 7
METHODE: INTRAVENÖSE INJEKTION
RESULTAT: ERFOLGREICH
(NEBENWIRKUNGEN: KEINE)
(ANMERKUNG: UMWELTFAKTOREN ERZWINGEN NOCH IMMER RÜCKVERWANDLUNG IN WOLF)
KAPITEL 57
SAM
Ich fühlte mich schmutzig, nachdem Beck sich wieder zurückverwandelt hatte, so als wäre ich Komplize bei einem Verbrechen gewesen. Das alles erinnerte mich so sehr an mein früheres Leben, als ich mich vor dem Winter versteckt und noch eine Familie gehabt hatte, dass ich spürte, wie meine Gedanken schon wieder davonglitten, um mich zu schützen. Und offenbar war ich nicht der Einzige: Cole verkündete, er wolle »eine Runde drehen«, und verschwand mit Ulriks altem BMW. Nachdem er weg war, stand Grace neben mir, während ich Brot backte, als hinge mein Leben davon ab. Schließlich ließ ich sie auf den Ofen aufpassen und ging duschen. Um die Erinnerungen abzuschrubben. Um mir von Neuem klarzumachen, dass ich, zumindest im Moment noch, meine Hände und meine menschliche Haut und mein Gesicht hatte.
Ich war mir nicht sicher, wie lange ich unter der Dusche gestanden hatte, als ich die Badezimmertür auf- und zugehen hörte.
»Mmm, gut«, sagte Grace. Der geschlossene Toilettendeckel knarzte, als sie versuchte, es sich darauf bequem zu machen. »Hast du gut hingekriegt, Sam.«
Ich konnte sie nicht sehen, aber ich roch das Brot. Es brachte mich merkwürdig aus dem Konzept, sie im selben Zimmer zu wissen, während ich hier unter dem laufenden Wasser stand. Irgendwie wer duschen, während sie danebensaß, sogar noch intimer als Sex. Ich fühlte mich tausendmal nackter, selbst hinter dem dunklen Duschvorhang.
Ich starrte auf das Stück Seife in meiner Hand. Dann rieb ich mir damit über die Rippen. »Danke.«
Grace schwieg, nur Zentimeter von mir entfernt, auf der anderen Seite des Vorhangs. Ich konnte sie nicht sehen, also konnte sie mich auch nicht sehen.
»Und, bist du jetzt langsam mal sauber da drin?«, fragte sie schließlich.
»Mein Gott, Grace«, stieß ich hervor und sie lachte.
Wieder Schweigen. Ich wusch die Stellen zwischen meinen Fingern. Einer meiner Nägel war ziemlich kaputt von der ständigen Reibung an den Gitarrensaiten. Ich betrachtete ihn und versuchte zu entscheiden, ob ich deswegen etwas unternehmen musste; aber es war schwer, in dem orangefarbenen Schummerlicht, das der Duschvorhang durchließ, eine zuverlässige Diagnose zu stellen.
»Rachel hat gesagt, dass sie mitkommt. Zu meinen Eltern«, sagte Grace. »Morgen Abend. Da hat sie Zeit.«
»Bist du nervös?« Ich war nervös und dabei kam ich noch nicht mal mit. Grace wollte es so.
»Weiß nicht. Es muss eben einfach sein. Dann bist du endlich aus dem Schneider. Und außerdem muss ich für Olivias Beerdigung auch offiziell lebendig sein. Rachel hat gesagt, sie haben sie eingeäschert.« Sie hielt inne. Es folgte eine lange Weile, in der man nichts hörte außer dem Wasser, das auf mich und die Kacheln prasselte. Dann sagte sie: »Dieses Brot ist wirklich köstlich.«
Schon kapiert. Themenwechsel. »Ulrik hat mir beigebracht, wie man so was backt.«
»Vielseitig begabtes Kerlchen. Spricht mit deutschem Akzent und kann auch noch Brot backen.« Sie pikste von der
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