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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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kurzen, unkontrollierten Momente, die wir manchmal teilten, etwas zählten, damals, als er mir den goldenen Wald gezeigt hatte, und dann in der Klinik, wo wir ihm das meningitisinfizierte Blut spritzten und ich ihm Bilder von uns beiden sandte. Aber zumindest in der Klinik war die Situation sehr intim gewesen, nah, ich hatte direkt neben ihm gesessen. Das war etwas anderes, als ihm die Bilder aus einem Autofenster zuzuwerfen, während wir aus dem Wald flüchteten. Sam wieder an seine Wolfsgestalt zu verlieren, für einen Plan, der auf solch wackligen Beinen stand … das war eine grässliche Vorstellung. Wir hatten so hart um seinen Menschenkörper gekämpft. Und er hasste es doch so sehr, sich zu verlieren.
    »Jetzt bin ich dran«, sagte Beck. »Mit Fragen. Aber zuerst eins: Wenn ich mich hier zurückverwandele, bringt mich zurück in den Wald. Egal, was mit den Wölfen da draußen passiert, ich will dabei sein. Wenn sie überleben, überlebe ich auch. Wenn sie sterben, sterbe ich auch. Ist das klar?«
    Ich wartete darauf, dass Sam protestierte, aber er sagte nichts. Gar nichts. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Zu ihm gehen? Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Distanziertes, Furchterregendes.
    »Einverstanden«, sagte Cole.
    Beck wirkte nicht enttäuscht. »Erste Frage. Sagt mir, wie das mit der Meningitis war. Ihr fragt, ob Sam die Wölfe anführen könnte, aber er ist ein Mensch. Das Heilmittel hat also nicht funktioniert?«
    »Doch, hat es«, erklärte Cole. »Die Meningitis kämpft gegen den Wolf an. Wenn ich richtigliege, wird er sich von Zeit zu Zeit wieder verwandeln. Aber irgendwann hört es ganz auf. Wenn alles im Gleichgewicht ist.«
    »Zweite Frage«, fuhr Beck fort. Er verzog das Gesicht, sein Schmerz stand ihm mit jeder Falte auf die Stirn geschrieben, dann entspannten sich seine Züge wieder, »Warum ist jetzt Grace ein Wolf?« Als er sah, wie mein Kopf in seine Richtung ruckte, tippte er sich schief grinsend mit dem Zeigefinger an die Nase. Irgendwie freute es mich trotz allem, dass er sich an meinen Namen erinnerte und sich um mich Sorgen machte. Es fiel mir schwer, ihn nicht zu mögen, selbst um Sams Willen – die Vorstellung, dass er Sam je wehgetan haben sollte, schien absurd, als er so vor mir stand. Und wenn ich schon so verwirrt war, nachdem ich ihm nur ein paarmal begegnet war, dann konnte ich mir nicht annähernd vorstellen, wie Sam sich fühlte.
    »Für die ausführliche Version dieser Antwort hast du keine Zeit«, erwiderte Cole. »Die Kurzversion lautet: Weil sie gebissen worden ist und die Vergangenheit einen immer irgendwann einholt.«
    »Okay, dann die dritte Frage«, sagte Beck. »Kannst du sie heilen?«
    »Die Meningitis hat Jack getötet«, sagte Sam, seine ersten Worte überhaupt. Er war nicht, wie ich, dabei gewesen, als Jack starb. Als seine Finger blau wurden, weil sein Herz sie aufgegeben hatte.
    »Er hat sich die Meningitis als Mensch spritzen lassen«, entgegnete Cole wegwerfend. »Den Kampf kann keiner gewinnen. Du hast sie als Wolf bekommen.«
    Sams Blick lag auf Cole und niemand anderem. »Woher sollen wir wissen, dass du recht hast?«
    Cole deutete vage auf Beck. »Weil es noch keinen Beweis dafür gibt, dass ich falschliege.«
    Aber Cole hatte schon öfter falschgelegen. Er hatte nur am Ende schließlich doch immer recht behalten. Das schien mir ein nicht ganz unwichtiges Detail zu sein.
    Beck sagte: »Vierte Frage. Wohin wollt ihr sie bringen?«
    »Auf eine Halbinsel, nördlich von hier«, erklärte Cole. »Die gehört einem Polizisten. Er hat das mit den Wölfen herausgefunden und will uns jetzt helfen. Aus purer Nächstenliebe.«
    Becks Blick war skeptisch.
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte Cole. »Aber ich habe sowieso schon beschlossen, ihm das Land abzukaufen. Nächstenliebe ist schön und gut, aber eine Besitzurkunde auf meinen Namen ist besser.«
    Überrascht sah ich Cole an und er mich, den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Darüber würden wir später noch mal reden müssen.
    »Letzte Frage«, sagte Beck. Irgendetwas in seiner Stimme erinnerte mich an das erste Mal, als ich mit ihm gesprochen hatte, damals, am Telefon, als Jack mich entführt hatte. Es hatte etwas so Mitfühlendes darin gelegen, etwas so Liebenswürdiges, dass es mich beinahe hatte zusammenbrechen lassen, wo alles andere es nicht geschafft hatte. Und jetzt sein Gesicht zu sehen, verstärkte diesen Effekt noch: der aufrichtige Schwung seines breiten Kiefers, die Fältchen

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