In deinen Augen
Zimmer da leer und ihr seht mich nie wieder. Und denkt ja nicht, dass das ein Witz sein soll. Seht mich an. Ihr wisst, dass ich es todernst meine. Und komm mir bloß nicht mit dem Gesetz, Dad! Du hast Sam geschlagen. Sag mir doch mal, welches Gesetz das erlaubt!«
Mein Magen war ein Trümmerfeld. Ich musste mich zurückhalten, um nicht weiterzureden, um nicht einfach weiter Worte in den leeren Raum zu speien.
Am Tisch herrschte absolutes Schweigen. Mein Vater hatte den Kopf abgewandt und starrte aus dem Fenster auf die Terrasse hinter dem Haus, obwohl es dort nichts zu sehen gab außer Schwärze. Rachel streichelte wie wild die Katze und die schnurrte, als würden sich jeden Moment ihre Rippen spalten, so laut, dass es im ganzen Raum zu hören war. Die Finger meiner Mutter lagen auf der Tischkante, Daumen und Zeigefinger zusammengepresst, und sie bewegte die Hände hin und her, als messe sie einen unsichtbaren Faden ab.
»Ich möchte dir einen Kompromiss vorschlagen«, sagte sie. Dad warf ihr einen finsteren Blick zu, aber sie ging nicht darauf ein.
Enttäuschung senkte sich schwer über meine Brust. Ich konnte mir keinen Kompromiss vorstellen, der auch nur annähernd akzeptabel sein würde.
»Ich höre«, sagte ich dennoch mit ausdrucksloser Stimme.
Dad explodierte. »Amy! Einen Kompromiss? Das kann doch nicht dein Ernst sein! Auf so was müssen wir uns doch gar nicht einlassen.«
»Aber auf deine Art funktioniert es auch nicht!«, fauchte Mom.
Dad feuerte einen weiteren bösen Blick auf meine Mutter ab, voll unendlicher Wut und Enttäuschung.
»Ich glaub es einfach nicht, dass du da auch noch mitmachst«, sagte er.
»Ich mache bei gar nichts mit. Ich habe mit Sam gesprochen, Lewis. Du hattest unrecht, was ihn angeht. Und jetzt bin ich mal dran mit Reden.« Sie wandte sich an mich. »Ich mache dir folgenden Vorschlag. Du wohnst hier, bis du achtzehn wirst, aber wir behandeln dich wie eine Erwachsene. Du darfst dich mit Sam treffen und kommen und gehen, wie du willst, solange –«, und jetzt kamen die Einschränkungen, hastig ausgedacht, »solange du die Ferienkurse und deinen Schulabschluss ernst nimmst. Sam darf nicht über Nacht bleiben, aber von mir aus den ganzen Tag, und wir werden uns bemühen, ihn besser kennenzulernen.«
Sie warf Dad einen Blick zu. Er verzog den Mund, zuckte aber nur mit den Schultern. Dann sahen sie beide mich an.
»Ach«, fügte Mom hinzu. »Und du redest weiter mit uns, wenn du achtzehn bist. Das gehört auch noch dazu.«
Ich presste die Finger auf meine Lippen, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Ich wollte meine Nächte mit Sam nicht aufgeben, aber es war wirklich ein fairer Kompromiss, besonders wenn man bedachte, dass ich dazu überhaupt keine Möglichkeit gesehen hatte. Aber was, wenn ich mich verwandelte? Ich konnte nicht wieder einziehen, bevor ich nicht wusste, dass ich fürs Erste stabil bleiben würde. Das musste doch bald so sein. Vielleicht schon jetzt? Ich wusste es nicht. Coles Heilmittel würde zu spät kommen, um mir hierbei von Nutzen zu sein.
»Woher weiß ich, dass ihr nicht wieder versucht, die Regeln zu ändern?«, sagte ich, um Zeit zu schinden. »Sam zum Beispiel ist über jede Diskussion erhaben. Den behalte ich. Für immer und ewig. Das kann ich euch gleich von Anfang an sagen. Er ist es.«
Dad zog wieder seine Grimasse, sagte aber immer noch nichts. Mom hingegen, zu meinem Erstaunen, nickte versonnen. »Okay. Ich habe ja gesagt, wir versuchen es. Und halten dich nicht davon ab, ihn zu sehen.«
»Und hauen ihn nicht mehr«, fügte Rachel hinzu. Ich warf ihr einen Blick zu. Sie machte sich ihren Schiedsrichterjob ja ganz schön leicht, indem sie sich erst zu Wort meldete, wenn der Konflikt schon so gut wie ausgestanden war.
»Gut«, sagte Mom. »Grace, was meinst du?«
Ich sah mich im Raum um: Von hier aus konnte ich bis ins Wohnzimmer sehen und ein seltsames Gefühl breitete sich in mir aus. Ich hatte gedacht, dies wäre das letzte Mal, dass ich herkam. Dass es einen riesigen Streit geben und ich dieses Kapitel beenden und niemals wieder aufschlagen würde. Die Vorstellung, in dieses Haus zurückzukehren und mich wieder in meinem alten Leben einzurichten, war erleichternd und erschöpfend zugleich. Ich dachte an Sams Furcht davor, sich wieder zu verwandeln, nachdem er geglaubt hatte, das längst hinter sich gelassen zu haben, und ich verstand genau, wie er sich fühlte.
»Da … darüber muss ich erst nachdenken«, sagte ich. »Kann ich eine
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