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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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würde er mich gar nicht wiedererkennen. Natürlich, sie waren erwachsen, aber das war ich auch. Es stimmte, was Rachel gesagt hatte – dass ich so was wie ihre große Schwester war. Meine Eltern hatten mich im Eilverfahren zur Erwachsenen erzogen, also durften sie jetzt auch nicht beleidigt sein, wenn ich mich tatsächlich wie eine verhielt.
    Ich presste die Hände auf den Tisch, wie um Dads Haltung widerzuspiegeln. Und dann sprach ich aus, was ich schon seit langer Zeit hatte sagen wollen. »Und ich werde nicht so tun, als wäre ich nicht fast in deinem Auto gestorben, Dad.«
    »Ach, jetzt hör aber auf«, erwiderte er.
    Vor lauter Entrüstung bekam ich Magenschmerzen. »Nein, ich höre noch lange nicht auf, ich fange gerade erst an. Das war nur ein Symptom. Du hast damals vergessen, dass du ein Kind im Auto sitzen hattest. Und davor bin ich von Wölfen von der Schaukel gerissen worden, während Mom oben war und gemalt hat. Und ja, mein Freund hat bei mir im Bett geschlafen, aber ihr zwei habt Wochen gebraucht, bis ihr das mitgekriegt habt. Habt ihr überhaupt gemerkt, dass ich hier geschlafen habe? Ihr habt mir die Zügel so locker gelassen. Habt ihr denn gedacht, ich würde diesen Freiraum nicht nutzen?«
    Rachel trug hektisch eine frische Schicht Lipgloss auf.
    »Okay«, sagte Mom. Die Katze war jetzt in ihren Nacken geklettert. Sie hob sie herunter und gab sie an Rachel weiter, was, wie ich fand, eine unrechtmäßige Beeinflussung des Schiedsrichters war. Aber ich musste zugeben, dass Rachel mit dem Kätzchen im Arm schon wesentlich glücklicher aussah. »Okay. Und wo stehen wir damit jetzt? Ich will mich nicht mehr streiten. Mein Gott, Lewis. Ich will mich nicht mit ihr streiten. Ich dachte, sie wäre tot.«
    Dad presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, aber er sagte nichts.
    Ich atmete tief durch und wappnete mich für das, was nun kommen würde. Ich musste das hier richtig anpacken. »Ich ziehe aus.«
    »Das tust du nicht«, protestierte Dad sofort.
    »Genau das ist der Grund, warum ich ausziehe«, entgegnete ich. »Du kannst mir nicht plötzlich vorschreiben, was ich tun soll. Du kannst nicht einfach warten, bis ich mir meine eigene Familie suche und mein eigenes Leben und mein eigenes Glück, und dann sagen, nein, Grace, das erlauben wir dir nicht. Du wirst jetzt sofort wieder zu der einsamen, traurigen Einserschülerin, die du vorher gewesen bist! Das ist nicht fair. Es wäre was anderes, wenn ihr für mich da gewesen wärt, wie Rachels Eltern oder wie Sams.«
    Mein Vater zog eine Grimasse. »Du meinst die, die versucht haben, ihn umzubringen?«
    »Nein, ich meine Beck«, sagte ich. Ich dachte an gestern Nachmittag, an Beck und Sam, Stirn an Stirn, die stumme Verbindung zwischen ihnen so stark, dass jeder Beobachter sie hatte sehen können. Ich dachte an Sams Gesten, daran, wie er die Hände hinter dem Kopf verschränkte. Das hatte er von Beck. Ich fragte mich, ob ich irgendetwas von meinen Eltern in mir hatte oder ob der Mensch, der ich war, sich ausschließlich aus Büchern und Fernsehen und Lehrern in der Schule zusammensetzte. »Sam würde alles tun, worum Beck ihn bittet, weil Beck immer für ihn da gewesen ist. Wisst ihr, wer immer für mich da gewesen ist? Ich. Eine Ein-Personen-Familie.«
    »Wenn du meinst, dass du mich damit überzeugen kannst«, sagte mein Vater, »dann liegst du falsch. Und außerdem habe ich das Gesetz auf meiner Seite, also muss ich auch gar nicht überzeugt werden. Du bist siebzehn. Du triffst hier nicht die Entscheidungen.«
    Rachel machte ein Geräusch, von dem ich erst dachte, dass es etwas mit ihrem Schiedsrichteramt zu tun hatte, aber wie sich herausstellte, hatte die Katze sie nur in die Hand gebissen.
    Ich hatte gar nicht geglaubt, dass ich Dad so schnell erweichen könnte. Er handelte aus reinem Prinzip, das sah ich jetzt, und davon würde er auch nicht abweichen. Mein Magen zog sich wieder zusammen, es war, als ob die Nervosität versuchte, hoch in meinen Mund zu krabbeln. Mit leiserer Stimme sagte ich jetzt: »Folgendermaßen kann es ablaufen. Ich will den Sommer über einen Ferienkurs belegen, um die Highschool fertig zu machen, und dann gehe ich aufs College. Entweder ihr lasst mich jetzt ausziehen, dann rede ich noch mit euch, wenn ich achtzehn bin. Oder ihr ruft die Polizei und zwingt mich hierzubleiben und in meinem Bett zu schlafen und mich an all eure neuen Regeln zu halten, aber dann, um Punkt zwölf Uhr nachts an meinem Geburtstag, ist dieses

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