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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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von den Wölfen fingen an, sich in die Dunkelheit der Bäume zurückzuziehen, und ich rannte los, trieb sie zurück zum See. Bilder flackerten in meinem Kopf auf: wir, am See, alle zusammen. Ich und sie. Grace.
    Grace … finde die Wölfe … zum See.
    Das hatte ich alles getan. Was nun? Aber da war kein Was nun.
    Grace konnte meine Unsicherheit riechen. Sie stupste meine Schnauze mit ihrer an, lehnte sich an mich, aber auch das beruhigte mich nicht.
    Das Rudel war rastlos. Wieder musste ich loslaufen und ein paar versprengte Wölfe zurück zum See bringen. Die weiße Wölfin – Shelby – knurrte, griff mich jedoch nicht an. Die Wölfe sahen ständig hoch zu dem Auto; ein Mensch saß darin.
    Was nun, was nun?
    Die Unwissenheit zerriss mich.
    Sam.
    Mein Kopf fuhr hoch. Das Erkennen durchzuckte mich.
    Sam, hörst du mich?
    Dann, ganz deutlich, ein Bild. Die Wölfe, wie sie eine Straße hinunterrennen, vor uns die Freiheit und hinter uns – hinter uns irgendeine Bedrohung.
    Ich drehte die Ohren in alle Richtungen, versuchte auszumachen, woher diese Information kam. Dann wandte ich mich zu dem Auto um, traf auf den festen Blick des jungen Mannes. Wieder sah ich das Bild vor mir, diesmal noch klarer. Gefahr im Anzug. Das Rudel, wie es die Straße hinunterpreschte. Es war genug. Ich nahm das Bild, feilte es noch etwas zurecht und warf es dann den anderen Wölfen zu.
    Sofort hob Grace, die gerade meine Arbeit erledigte und einen Wolf davon abhielt, im Unterholz zwischen den Bäumen zu verschwinden, den Kopf. Unsere Blicke trafen sich über einem Gewimmel aus zwei Dutzend Leibern und ich hielt ihren für einen kurzen Moment fest.
    In meinen Pfoten spürte ich ein unerklärliches Vibrieren. Irgendetwas kam näher.
    Grace schickte mir ein neues Bild. Einen Vorschlag. Das Rudel, mit mir an der Spitze, der es von dem fort führte, was auch immer sich uns da näherte. Und sie selbst, wie sie die anderen hinter mir hertrieb.
    Ich konnte diesem Bild, das mir aus dem Auto zugesandt wurde, nicht misstrauen, denn es kam zusammen mit diesem Wort, wieder und wieder: Sam. Das ließ es richtig erscheinen, auch wenn ich die Zusammenhänge nicht ganz verstand.
    Ich schickte dem Rudel ein Bild. Keine Bitte. Sondern einen Befehl: Bewegt euch. Folgt mir.
    Eigentlich stand es nur Paul, dem schwarzen Wolf, zu, Befehle zu erteilen, und jeder andere würde dafür bestraft werden.
    Einen Moment lang geschah gar nichts.
    Dann, beinahe gleichzeitig, fingen wir an zu rennen. Es fühlte sich an, als wären wir auf der Jagd, nur dass unsere Beute zu weit weg war, um sie zu sehen.
    Alle Wölfe hörten auf mich.

KAPITEL 70
COLE
    Es funktionierte. Doch als ich anfing, ihnen im VW zu folgen, stob das Rudel auseinander und es dauerte eine ganze Weile, bis es sich neu formiert hatten. Jeden Moment würde die Dämmerung hereinbrechen; wir hatten keine Zeit, sie an das Auto zu gewöhnen. Also stieg ich aus, warf ihnen Bilder zu, so gut ich konnte – langsam bekam ich Übung darin, aber ich musste immer noch ziemlich nah an sie heran –, und rannte zu Fuß weiter. Nicht so nah, dass es leichtsinnig gewesen wäre; ich blieb die meiste Zeit am Straßenrand, um mich orientieren zu können, Dutzende Meter von ihnen entfernt. Ich versuchte nur, so dicht in ihrer Nähe zu bleiben, dass ich sehen konnte, wo sie hinliefen. Unglaublich, dass ich vorher tatsächlich über ihre Langsamkeit geflucht hatte. Wenn sie jetzt auch nur einen Tick konzentrierter gewesen wären, hätte ich gar nicht mehr mit ihnen Schritt halten können. Und so rannte ich hinter ihnen her, beinahe selbst wieder Teil des Rudels, das im schwächer werdenden Mondlicht dahinjagte. Ich war mir nicht sicher, was passieren würde, wenn mir die Puste ausging. Im Moment, befeuert durch das Adrenalin, konnte ich es mir einfach nicht vorstellen.
    Und selbst ich als bekennender Zyniker musste zugeben: Es war schon irre, die Wölfe so zu sehen, wie sie miteinander rannten und sprangen und durcheinanderwuselten. Und noch irrer war es, Sam und Grace zusammen zu sehen.
    Ich konnte Sam Bilder schicken, ja, aber es kostete ihn merklich Mühe, sie zu verstehen. Sam und Grace dagegen, beides Wölfe und mit ihrer besonderen Verbindung – Sam brauchte kaum den Kopf zu drehen, da fiel Grace auch schon zurück und trieb einen Wolf zur Eile an, der langsamer geworden war, um irgendeinem faszinierenden Geruch nachzugehen. Ein anderes Mal fing sie eins meiner Bilder ab, übersetzte es mit einem raschen Schwanzwedeln

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