Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
gelungen war, mich an meinen Namen zu erinnern, stimmte mich ungemein zufrieden. Mein Wolfsdasein hatte meine Ansprüche, was Wunder betraf, drastisch gesenkt. Außerdem bewies die Tatsache, dass ich ihn laut aussprechen konnte, dass ich wirklich ganz Mensch war und das Risiko eingehen konnte, zum Haus der Culpepers zu gehen. Die Sonne ertastete mich durch die Zweige und wärmte mir den Rücken, als ich zwischen den Bäumen hindurchschlich. Nach einem schnellen Blick, um zu prüfen, ob die Auffahrt leer war – ich war schließlich splitternackt –, rannte ich quer durch den Garten zur Hintertür.
    Beim letzten Mal, als Isabel mich hierher mitgenommen hatte, war die Hintertür unverschlossen gewesen; ich wusste sogar noch, dass ich diesen Umstand kommentiert hatte. Ich denke nie dran abzuschließen, hatte Isabel gesagt.
    Heute hatte sie es wieder vergessen.
    Vorsichtig ging ich hinein und fand schließlich in der makellos sauberen Edelstahlküche das Telefon. Der Geruch nach Essen war dort so quälend, dass ich einen Moment lang einfach nur dastand, das Telefon in der Hand, bevor ich daran dachte zu wählen.
    Isabel ging sofort ran.
    »Hi«, sagte ich. »Ich bin’s. Ich bin bei dir zu Hause. Sonst ist niemand hier.«
    Mein Magen knurrte. Sehnsüchtig beäugte ich einen Brotkasten, aus dem die Ecke einer Bagelverpackung lugte.
    »Rühr dich nicht vom Fleck«, befahl Isabel. »Ich bin schon unterwegs.«
     
    Eine halbe Stunde später fand mich Isabel in der Tierausstellung ihres Dads, einen Bagel kauend und in ihren alten Klamotten. Der Raum war wirklich faszinierend, wenn auch auf eine entsetzliche Art und Weise. Zunächst mal war er riesig: zwei Stockwerke hoch, düster wie ein Museum und ungefähr so lang, wie das Haus meiner Eltern breit war. Und außerdem bis unter die Decke voll mit Dutzenden von ausgestopften Tieren. Von denen ich annahm, dass Tom Culpeper sie alle höchstpersönlich erschossen hatte. War es erlaubt, Elche zu schießen? Gab es überhaupt Elche in Minnesota? Wenn irgendjemand hier schon mal welche gesehen haben müsste, dann wäre das ja wohl ich selbst. Vielleicht hatte er sie ja auch einfach gekauft. Ich stellte mir vor, wie Männer in Overalls ausgestopfte Tiere mit styroporgepolsterten Geweihen aus einem Lieferwagen luden.
    Die Tür fiel laut und hallend hinter Isabel zu, wie in einer Kirche, und ihre Absätze klapperten über den Boden. Das Echo ihrer Schritte in der Stille verstärkte den Kircheneffekt nur noch.
    »Du siehst ja ganz schön glücklich aus«, kommentierte Isabel, da ich immer noch über die Elche lächelte. Sie blieb neben mir stehen. »Ich bin gekommen, so schnell ich konnte. Sieht aus, als hättest du meinen Schrank schon allein gefunden.«
    »Ja«, antwortete ich. »Danke für die Sachen.«
    Sie zupfte am Ärmel des T-Shirts, das ich angezogen hatte, ein altes gelbes Ding mit dem Aufdruck SANTA MARIA ACADEMY. »An diesem Oberteil hängen schreckliche Erinnerungen. Damals war ich Isabel C., weil meine beste Freundin auch Isabel hieß. Isabel D. Mann, war das ein Miststück.«
    »Ich wollte nichts von deinen guten Sachen kaputt machen, falls ich mich wieder verwandele.« Ich warf ihr einen Blick zu; ich war so froh, sie zu sehen. Jede andere Freundin hätte mich umarmt, nachdem ich Monate weggewesen war. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass Isabel je irgendwen umarmte, unter keinen Umständen. Mein Magen zog sich zusammen, warnte mich, dass ich vielleicht nicht so lange Grace bleiben würde, wie ich hoffte. Ich fragte: »Hat dein Dad die alle geschossen?«
    Isabel zog eine Grimasse. »Nicht alle. Ein paar von denen hat er wahrscheinlich eine Strafpredigt gehalten, bis sie tot umgefallen sind.«
    Wir gingen ein paar Schritte weiter, bis ich vor einem Wolf mit Glasaugen stehen blieb. Ich wartete darauf, dass das Entsetzen mich packte, aber es blieb aus. Kleine, runde Fenster ließen schmale Lichtstrahlen herein, die die Pfoten des Wolfs in helle Kreise hüllten. Der Wolf wirkte zusammengeschrumpft, sein Pelz war staubig und stumpf und er sah nicht aus, als wäre er jemals lebendig gewesen. Seine Augen waren in irgendeiner Fabrik hergestellt worden und verrieten mir nichts darüber, wer er einst gewesen sein mochte, weder als Mensch noch als Tier.
    »Kanada«, sagte Isabel. »Ich hab ihn gefragt. Keiner von den Wölfen aus Mercy Falls. Du brauchst das Vieh also nicht so anzustarren.«
    Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm das geglaubt hätte.
    »Vermisst du Kalifornien?«,

Weitere Kostenlose Bücher