In deinen Augen
senden: ich, wie ich mit dem Rudel rannte, mit den anderen spielte, bei der Jagd half.
Sie hießen mich so ausgelassen und unverzüglich willkommen, dass es schien, als hätten sie nur auf diese Geste von mir gewartet. Von diesem Moment an wusste ich, dass die weiße Wölfin nur zurückgewiesen wurde, weil sie es nicht anders wollte.
Mein Unterricht begann. Während rings um uns der Frühling erwachte, Blüten sprießen ließ, die so süß dufteten, dass der Geruch beinahe an Verwesung erinnerte, und der Boden weich und feucht wurde, erkor mich das ganze Rudel zu seinem Projekt. Der graue Wolf brachte mir bei, mich an meine Beute anzuschleichen, einen Hirsch zu umkreisen und mich in seine Schnauze zu verbeißen, während die anderen sich auf seine Flanken stürzten. Der schwarze Alphawolf lehrte mich, Geruchsspuren am Rande unseres Reviers zu verfolgen. Der Clown zeigte mir, wie man Nahrung vergrub und einen leeren Vorrat markierte. Meine Unwissenheit schien ihnen regelrechtes Vergnügen zu bereiten. Nachdem ich die Zeichen für das Spielen längst gelernt hatte, forderten sie mich noch immer mit vollkommen übertriebenen Verbeugungen dazu auf, die Ellbogen auf dem Boden, den Schwanz wedelnd in der Luft. Als ich, hungrig bis zum Umfallen, ganz allein eine Maus fing, sprangen sie um mich herum und feierten, als hätte ich einen Elch erlegt. Wenn sie mich bei der Jagd abhängten, brachten sie mir ein Stück der Beute, wie sie es für einen Welpen tun würden; lange Zeit war ihre Freundlichkeit das Einzige, was mich am Leben hielt.
Wenn ich mich auf dem Waldboden zusammenkrümmte, leise winselnd, am ganzen Körper zitternd, während das Mädchen, das in mir lebte, meine Eingeweide in Stücke riss, standen die Wölfe Wache und beschützten mich, auch wenn ich nicht sicher war, wovor eigentlich. Wir waren die größten Lebewesen in diesem Wald, mit Ausnahme der Hirsche, und um die zu finden, mussten wir stundenlang laufen.
Laufen. Das taten wir. Unser Revier war groß, zu Beginn erschien es mir endlos. Doch wie weit wir unserer Beute auch folgten, wir umkreisten immer wieder denselben Teil des Waldes, ein lang gezogenes, sanft gewelltes Stück Land, durchsetzt von Bäumen mit blasser Rinde, zu dem wir immer zurückkehrten. Zu Hause. Gefällt’s dir?
Nachts, wenn wir rasteten, heulte ich. Ein nicht zu stillender Hunger stieg dann in mir auf und mein Geist klammerte sich an Gedanken, die nicht in meinen Kopf zu passen schienen. Mein Jaulen steckte die anderen an und gemeinsam sangen wir, taten unsere Anwesenheit kund und beklagten die Rudelmitglieder, die nicht bei uns waren.
Ich wartete auf ihn.
Ich wusste, er würde nicht kommen, aber dennoch heulte ich, und wenn ich das tat, sandten mir die anderen Wölfe Bilder von ihm: schmal, grau, gelbe Augen. Ich schickte meine eigenen Bilder zurück, von einem Wolf am Waldrand, still und auf der Hut, der mich beobachtete. Die Bilder, so klar wie die zierlichen Blätter an den Bäumen vor mir, machten den Drang, ihn zu finden, nur schlimmer, aber ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte zu suchen.
Und es waren nicht nur seine Augen, die mich nicht losließen. Sie waren lediglich der Zugang zu anderen Beinaheerinnerungen, Beinahebildern, Beinaheversionen von mir, die ich nicht einfangen konnte, schwerer zu fassen als der schnellste Hirsch. Ich fürchtete zu verhungern, aus Mangel an – was immer es auch sein mochte.
Langsam lernte ich, als Wolf zu überleben, aber niemand konnte mir beibringen, wie ich so leben sollte.
KAPITEL 12
GRACE
Eines frühen Nachmittags verwandelte ich mich. »Eines« Nachmittags deshalb, weil ich absolut keine Vorstellung von Zeit hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie lange das letzte Mal her war, dass ich ich gewesen war und mich klar daran erinnerte, damals, bei Ben ’s Fish and Tackle. Als ich zu mir kam, wusste ich nur, dass ich mich auf der kleinen überwucherten Terrasse in der Nähe von Isabels Haus befand. Mein Gesicht lag im feuchten Matsch, unter dem sich das bunte Mosaik verbarg, das ich vor Monaten zum ersten Mal gesehen hatte. Ich hatte so lange dort gelegen, dass die kleinen Fliesen ein Gittermuster auf meiner Wange hinterlassen hatten. Weiter unten führten die Enten auf dem See kurz angebundene Gespräche miteinander. Ich stand auf, testete, ob meine Beine mich trugen, und wischte den gröbsten Schmutz und die klebrigen nassen Blätter von meinem Körper.
»Grace«, sagte ich. Die Enten hörten auf zu schnattern.
Dass es mir
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