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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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es anerkennend wirken. »Wer weiß, ob das überhaupt funktionieren würde. Ich meine, ein Rudel Wildtiere einfach so umzusiedeln …«
    »Klar, aber wenigstens ist es eine Idee. Schön zu sehen, dass hier wenigstens einer sein Gehirn benutzt.«
    Ich verzog das Gesicht. Wir sahen beide die Gans an. Sie zwinkerte nicht noch einmal.
    »Tut es weh?«, fragte Isabel.
    Ich merkte, dass ihr Blick auf meiner linken Hand ruhte, die sich von ganz allein hoch zu meiner Seite gestohlen hatte und sich dagegen presste. »Nur ein bisschen«, erwiderte ich. Sie stellte mich nicht zur Rede wegen der Lüge.
    Wir zuckten beide zusammen, als Isabels Handy klingelte.
    »Für dich«, sagte Isabel, noch bevor sie es aus der Tasche gekramt hatte. Sie warf einen Blick auf das Display und reichte mir das Telefon.
    Mein Magen machte einen Hüpfer; ich konnte nicht sagen, ob es an dem Wolf in mir lag oder an meiner plötzlichen, unerklärlichen Nervosität.
    Isabel gab mir einen Klaps auf den Arm, meine Haut erzitterte unter ihrer Hand. »Sag was.«
    »Hi«, sagte ich. Eigentlich war es eher ein Krächzen.
    »Hi«, sagte Sam, seine Stimme kaum laut genug, dass ich sie hören konnte. »Wie geht es dir?«
    Isabels Anwesenheit war mir sehr bewusst. Ich drehte mich zu der Gans um. Sie zwinkerte mir wieder zu. Meine Haut fühlte sich nicht an, als gehörte sie zu mir. »jetzt schon besser.«
    Ich wusste nicht, was ich in zwei Minuten sagen sollte, nachdem wir zwei Monate getrennt gewesen waren. Ich wollte nicht reden. Ich wollte mich an ihn schmiegen und einschlafen, mehr als alles andere. Ich wollte ihn wiedersehen, in seinen Augen lesen, dass das, was wir gehabt hatten, echt gewesen war, und dass er kein Fremder war. Ich wollte keine großen Gesten, kein ausgedehntes Gespräch – ich wollte nur wissen, dass irgendetwas geblieben war, nachdem sich alles andere geändert hatte. Ich spürte eine Welle von Ärger über dieses vollkommen unzulängliche Telefon, über meinen unzuverlässigen Körper, über die Wölfe, die mich erschaffen und zerstört hatten.
    »Ich komme«, sagte er. »Zehn Minuten.«
    Acht Minuten zu viel. Meine Knochen schmerzten. »Ich würde gern …« Ich hielt inne und biss die Zähne gegen das Zittern zusammen. Dies war der schlimmste Moment – wenn es wirklich anfing wehzutun und ich genau wusste, dass es nur noch schlimmer werden würde. »… einen Kakao mit dir trinken, wenn ich wieder da bin. Ich vermisse Schokolade.«
    Sam machte ein leises, heiseres Geräusch. Er verstand und das tat mir weh, mehr als die Verwandlung selbst. Er sagte: »Ich weiß, es ist schwer. Denk an den Sommer, Grace. Denk dran, dass es bald vorbei ist.«
    Meine Augen brannten. Ich krümmte die Schultern, um mich vor Isabel abzuschirmen.
    »Ich will, dass es jetzt vorbei ist«, flüsterte ich und fühlte mich schrecklich bei diesem Geständnis.
    »Du –«, begann Sam.
    »Grace!«, zischte Isabel und riss mir das Telefon aus der Hand. »Du musst abhauen. Meine Eltern sind zu Hause!«
    Sie klappte das Handy zu und im selben Moment hörte ich Stimmen im Zimmer nebenan.
    »Isabel!«, schallte Tom Culpepers Stimme deutlich zu uns herüber.
    Das Innere meines Körpers dehnte sich und schien zu reißen. Am liebsten hätte ich mich ganz klein zusammengefaltet.
    Isabel schob mich zu einer Tür und ich stolperte in ein angrenzendes Zimmer. »Hier rein«, drängte sie. »Sei still! Ich mach das schon.«
    »Isabel«, keuchte ich. »Ich kann nicht –«
    Die massive alte Klinke am anderen Ende des Saals bewegte sich mit einem Krachen, laut wie ein Schuss, und Isabel knallte mir die Tür vor der Nase zu.

KAPITEL 13
ISABEL
    Einen kurzen Moment war ich mir nicht sicher, ob mein Vater Grace gesehen hatte. Sein normalerweise so wohlfrisiertes Haar war zerzaust und in seinen Augen las ich Entsetzen oder Überraschung oder irgendeine andere heftige Emotion. Er hatte die Tür mit solcher Wucht aufgestoßen, dass sie gegen die Wand geknallt und dann wieder zurückgeschwungen war. Der Elch war ins Wanken geraten; ich wartete darauf, dass er umkippte. Mir war noch nie in den Sinn gekommen, was für ein Wahnsinnsanblick es wäre, all diese Tiere wie Dominosteine umfallen zu sehen. Mein Vater zitterte immer noch, als der Elch längst damit aufgehört hatte.
    Um mein Unbehagen zu verbergen, warf ich meinem Vater einen finsteren Blick zu. »Na, das nenn ich mal einen dramatischen Auftritt.« Ich lehnte mich gegen die Tür zum Klavierzimmer. Hoffentlich machte Grace da

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