In deinen Augen
Geländer, nicht sicher, was ich sagen sollte. Am liebsten wäre ich auf und ab gehüpft, hätte ihm die Arme um den Hals geschlungen und ihm gegen die Brust geboxt und gegrinst wie eine Irre – oder geweint. Ich wusste nicht, was das richtige Verhalten für so eine Situation war.
Sam wandte sich zu mir um und im schummrigen Licht, das vom Fenster nach draußen fiel, sah ich Bartstoppeln an seinem Kinn. Er war älter geworden, während ich weg war. Ich hob die Hand und rieb über die Stoppeln und er lächelte kläglich.
»Tut das weh?«, wollte ich wissen und rubbelte jetzt gegen den Strich. Ich hatte es vermisst, ihn zu berühren.
»Wieso sollte es?«
»Na, weil ich falsch rum reibe?«, erwiderte ich. Es machte mich überwältigend glücklich, hier zu stehen, die Hand an seiner unrasierten Wange. Natürlich war alles schrecklich, aber gleichzeitig war auch alles wunderbar. Ich wollte lächeln und glaubte, dass meine Augen es wahrscheinlich bereits taten, denn auch er hatte eine Art Lächeln auf den Lippen, ein verwirrtes, als sei er sich nicht sicher, ob er das Richtige tat.
»Und außerdem«, sagte ich, »hallo.«
Jetzt lächelte Sam richtig und antwortete sanft: »Hey, mein Engel.« Er schlang die schlaksigen Arme in einer heftigen Umarmung um meinen Hals und ich legte meine um seinen Oberkörper und drückte ihn an mich, so fest es ging. Ich liebte es, Sam zu küssen, aber kein Kuss konnte so wunderbar sein wie das hier. Sein Atem in meinem Haar, mein Ohr gegen sein T-Shirt gequetscht. Es fühlte sich an, als wären wir zusammen ein robusteres Wesen, ein Grace-und-Sam.
Sam presste mich immer noch an sich und fragte: »Hast du schon was gegessen?«
»Ein Brot mit Brot drauf. Und dann hab ich noch ein paar Clogs gefunden. Nicht zum Essen.«
Sam lachte leise. Ich war so froh, es zu hören, so ausgehungert danach, ihn zu hören. Dann sagte er: »Einkaufen ist nicht gerade unsere Stärke.«
Mit dem Gesicht in seinem T-Shirt – es roch nach Weichspüler – murmelte ich: »Ich geh nicht gern Lebensmittel einkaufen. Immer dasselbe, Woche für Woche. Am liebsten hätte ich irgendwann mal genug Geld, um es jemand anderen für mich machen zu lassen. Muss man dafür wohl reich sein? Ich will auch kein schickes Haus oder so. Nur jemanden, der für mich einkaufen geht.«
Sam dachte darüber nach. Er hatte seinen Griff um mich noch immer nicht gelockert. »Ich glaube, jeder muss selber einkaufen gehen.«
»Ich wette, die Queen geht nicht selber einkaufen.«
Er stieß die Luft über meinem Kopf aus. »Ja, aber die isst auch jeden Tag dasselbe. Aal in Aspik und Hammelfleischpastete und Scones mit Marmite.«
»Du weißt doch bestimmt nicht mal, was Marmite überhaupt ist«, sagte ich.
»Das ist so ein abartiges Zeug, das man sich aufs Brot schmiert. So hat Beck es mir zumindest erklärt.« Sam befreite seine Arme und lehnte sich wieder ans Geländer. Er musterte mich. »Ist dir kalt?«
Es dauerte einen Moment, bis ich die Frage dahinter verstand: Meinst du, du verwandelst dich bald wieder?
Aber ich fühlte mich gut, richtig und vollkommen wie ich. Kopfschüttelnd stellte ich mich wieder zu ihm ans Geländer. Eine Weile standen wir einfach im Dunkeln und sahen in die Nacht hinaus. Als ich Sam einen Blick zuwarf, fiel mir auf, dass seine Hände völlig ineinander verknotet waren. Die Finger der rechten Hand quetschten den linken Daumen so fest, dass er ganz weiß und blutleer aussah.
Ich lehnte den Kopf an seine Schulter, zwischen meiner Wange und seiner Haut nichts als sein T-Shirt. Sam seufzte auf bei der Berührung – kein unglücklicher Seufzer – und sagte: »Ich glaube, das da ist ein Nordlicht.«
Ohne den Kopf zu bewegen, hob ich den Blick. »Wo?«
»Da drüben. Über den Bäumen. Siehst du das? Wo es ein bisschen rosa ist.«
Ich blinzelte. Über uns leuchtete eine Million Sterne. »Könnte auch das Licht von der Tankstelle sein. Du weißt schon, der Quik-Mart am Stadtrand.«
»Was für eine deprimierende, praktische Vorstellung«, sagte Sam. »Ich fänd’s schöner, wenn das was Magisches wäre.«
»So eine Aurora borealis ist auch nicht magischer als der Quik-Mart«, merkte ich an. Über das Thema hatte ich mal ein Referat gehalten, darum war mir die naturwissenschaftliche Erklärung geläufiger, als sie es vielleicht normalerweise gewesen wäre. Obwohl ich zugeben musste, dass ich die Vorstellung, wie Sonnenwind und Atome zusammenarbeiteten, um für uns hier unten eine Lightshow auf die Beine
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