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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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hatte.
    »Fernunterricht, was? Ganz schön schwere Kost so früh am Morgen.«
    Ich zog den Kopf ein. »Was anderes hatte Beck nicht.«
    Cole las weiter. »Den College-Eignungstest bestehen. Seriöses Online-Studium. Werden auch Sie zu einem gebildeten Werwolf, ohne die Behaglichkeit Ihres Kellers zu verlassen. Macht dir schwer zu schaffen, was? Das mit der Schule, meine ich.«
    Ich sah zu ihm auf. Ich hatte nicht gedacht, dass ich so unzufrieden wirkte. Ich hatte nicht gedacht, dass ich unzufrieden war. »Nein. Okay, doch. Tut es. Ich wollte aufs College gehen. Ich wollte die Highschool zu Ende machen. Ich lerne gern. « Erst als ich das gesagt hatte, fiel mir auf, dass Cole NARKOTIKA einem Studium vorgezogen hatte. Wie sollte ich ihm diesen erwartungsvollen Schauder erklären, den ich immer gespürt hatte, wenn ich übers College nachdachte? Wie meine Vorfreude beschreiben, wenn ich mir die Kataloge ansah – all die Kurse, all die Möglichkeiten – oder auch nur das schiere Vergnügen, ein nagelneues Lehrbuch aufzuschlagen und einen nagelneuen Schreibblock gleich daneben? Den Reiz der Vorstellung, irgendwo mit einem Haufen anderer Leute zusammen zu sein, die genauso gern lernten. Eine winzige Wohnung zu haben, in der ich herrschte wie eine Königin, tun und lassen zu können, was ich wollte, Tag und Nacht. Jetzt kam ich mir albern vor und fügte hinzu: »Klingt wahrscheinlich ziemlich blöd.«
    Aber Cole starrte nur gedankenverloren in seine Kaffeetasse und sagte: »Mmm, lernen. Bin selber ein großer Fan davon.« Er schnappte sich eins der Bücher und schlug es völlig wahllos auf. Die Kapitelüberschrift auf der Seite lautete Die Welt aus dem Wohnzimmersessel kennenlernen und darunter war ein Bild von einem Strichmännchen, das genau das tat. »Erinnerst du dich an alles, was im Krankenhaus passiert ist?«
    Er sagte es auf diese »Frag nach« -Art, also tat ich das. Er lieferte mir einen detaillierten Bericht über die Geschehnisse jener Nacht, von dem Moment an, als ich Blut gespuckt hatte, über die Fahrt mit ihm und Sam ins Krankenhaus bis zu dem Punkt, an dem er sich eine wissenschaftliche Erklärung für meinen Zustand zusammengereimt hatte, um mich zu retten. Und dann erzählte er mir, wie mein Vater Sam geschlagen hatte.
    Zuerst glaubte ich, ich hätte ihn missverstanden. »Geschlagen? Aber doch nicht richtig ins Gesicht, oder? Also, du meinst doch sicher nur, dass er …«
    »Nee, nee. Er hat ihm voll eine reingehauen«, beharrte Cole.
    Ich trank einen Schluck Kaffee. Keine Ahnung, was eigenartiger war, die Vorstellung, dass mein Vater Sam schlug, oder die Einsicht, wie viel ich verpasst hatte, während ich in einem Krankenhausbett lag und mich verwandelte. Plötzlich kam mir die Zeit, die ich als Wolf verbracht hatte, noch mehr als sowieso schon wie verlorene Zeit vor, Stunden, die ich niemals zurückbekommen würde. So als hätte sich meine Lebenserwartung mit einem Schlag halbiert.
    Schnell schob ich den Gedanken beiseite und stellte mir lieber wieder meinen Vater vor, wie er Sam schlug.
    »Das«, sagte ich, »fasse ich jetzt nicht. Sam hat aber nicht zurückgeschlagen, oder?«
    Cole lachte nur und goss sich noch mehr Kaffee ein.
    »Also war ich nie wirklich geheilt«, sagte ich.
    »Nein. Du hast dich nur nicht verwandelt, das ist nicht dasselbe. Das St.-Clair-Toxin – ich hoffe, es ist okay, wenn ich das Werwolfgift nach mir benenne, du weißt schon, damit ich mal den Friedensnobelpreis kriegen kann oder den Pulitzer oder welchen man für so was auch immer bekommt – hat sich immer weiter in dir angestaut.«
    »Dann ist Sam auch nicht geheilt«, folgerte ich. Ich stellte die Kaffeetasse ab und schob die Bücher beiseite. Dass unsere ganze Mühe umsonst gewesen sein sollte – alles, was wir getan hatten –, war einfach zu viel. Die große Bibliothek und meine rote Kaffeemaschine schienen plötzlich in unerreichbare Ferne zu rücken.
    »Na ja«, entgegnete Cole, »da bin ich mir nicht sicher. Immerhin hat er sich – ach, guck einer an, da ist er ja, unser medizinisches Wunder. Morgen, Ringo.«
    Sam war nahezu lautlos die Treppe heruntergekommen und stand jetzt auf dem untersten Absatz. Seine Füße waren knallrot vom Duschen. Als ich ihn sah, fühlte ich mich ein kleines bisschen weniger pessimistisch, selbst wenn seine Anwesenheit auch kein Problem lösen würde, das nicht schon gelöst war.
    »Wir haben gerade über die Heilung geredet«, sagte Cole.
    Sam tappte zu mir herüber. »Hmm?« Im

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