Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
abzuhalten?«, gab Cole zurück.
    »Das hat er dir nur erzählt, weil es das war, was du hören wolltest«, sagte Sam.
    »Und dir hat er die Geschichte mit der Wandertour und dass Paul schon hier in Minnesota gewesen ist, nur erzählt, weil es das war, was du hören wolltest«, erwiderte Cole. »Sag mir doch mal, wie Wyoming da reinpasst, davon hat er nämlich keinem von uns was erzählt. Er ist nicht von Kanada nach Mercy Falls gekommen, weil er rausgefunden hat, dass es hier schon Wölfe gab, und genauso wenig ist er beim Wandern gebissen worden. Er hat die Story nur vereinfacht, damit er in deinen Augen nicht schlecht dasteht. Für mich hat er sie vereinfacht, weil er wahrscheinlich nicht der Meinung war, dass der Rest irgendwie wichtig wäre, um mich zu überzeugen. Sag mir nicht, du hättest noch nie an ihm gezweifelt, Sam, das kann einfach nicht sein. Der Mann hat dafür gesorgt, dass du angesteckt wurdest, und dich dann adoptiert. Darüber musst du doch schon mal nachgedacht haben.«
    Mein Magen krampfte sich aus Mitleid für Sam zusammen, aber er sah nicht zu Boden oder zur Seite. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos. »Ja, hab ich.«
    »Und was genau ist dabei rausgekommen?«, fragte Cole.
    Sam sagte: »Ich weiß es nicht.«
    »Aber zu irgendeinem Schluss bist du doch sicher gekommen.«
    »Ich weiß nicht.«
    Cole stand auf und trat einen Schritt vor, sodass er nun genau vor Sam stand, und die Heftigkeit, mit der er das tat, war ein wenig einschüchternd. »Würdest du ihn nicht gern danach fragen?«
    Man musste Sam zugutehalten, dass er kein bisschen eingeschüchtert aussah. »Die Möglichkeit besteht ja leider nicht.«
    »Was, wenn doch? Was, wenn du ihn für fünfzehn Minuten wiederhaben könntest? Ich kann ihn finden. Ich finde ihn und ich habe etwas, was ihn dazu zwingen dürfte, sich zu verwandeln. Nicht lange. Aber lange genug, um mit ihm zu reden. Ich muss nämlich sagen, dass ich auch ein paar Fragen an ihn hätte.«
    Sam runzelte die Stirn. »Mit deinem eigenen Körper kannst du anstellen, was du willst, aber ich mache bei nichts mit, wofür er uns nicht sein Einverständnis geben kann.«
    Cole blickte tief gekränkt. »Hier geht’s um Adrenalin, nicht um Sex auf dem Abschlussball.«
    Sams Stimme klang unnachgiebig. »Ich werde nicht riskieren, dass Beck stirbt, nur um ihn zu fragen, warum er mir nicht gesagt hat, dass er mal in Wyoming gewohnt hat.«
    Das war die offensichtliche Antwort. Cole musste gewusst haben, dass Sam so etwas sagen würde. Aber auf Coles Gesicht lag schon wieder dieses kleine, harte Lächeln, das kaum als solches zu erkennen war. »Wenn wir Beck fangen und ich ihn zum Menschen mache«, sagte er, »kann ich bei ihm vielleicht alles auf Anfang zurückstellen, wie bei Grace. Würdest du dafür sein Leben riskieren?«
    Sam antwortete nicht.
    »Sag Ja«, drängte Cole. »Sag mir, ich soll ihn finden, und ich tu’s.«
    Und genau das, wurde mir nun klar, war der Grund, warum Sam und Cole nicht miteinander auskamen. Denn wenn es ans Eingemachte ging, traf Cole regelmäßig schlechte Entscheidungen aus guten Gründen und das konnte Sam nicht akzeptieren. Und jetzt ließ Cole diesen verlockenden Köder vor Sams Nase baumeln, diese eine Sache, die er mehr wollte als alles andere, aber verknüpft mit der, die er am wenigsten wollte. Ich wusste selbst nicht, welche Antwort ich mir von ihm wünschte.
    Sam schluckte. Dann wandte er sich mir zu und fragte leise: »Was soll ich machen?«
    Ich hatte keine Ahnung, was ich ihm sagen sollte, das er nicht schon wusste. Mit verschränkten Armen saß ich da. Mir fielen tausend Gründe sowohl dafür als auch dagegen ein, aber jeder einzelne davon begann und endete mit der Sehnsucht, die ich jetzt in Sams Gesicht sah. »Du musst danach noch mit dir weiterleben können«, sagte ich.
    »Er stirbt da draußen sowieso, Sam«, sagte Cole.
    Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, drehte Sam sich von uns beiden weg. Er starrte auf die zahllosen Reihen von Becks Büchern.
    Ohne einen von uns anzusehen, sagte er schließlich: »In Ordnung. Ja. Finde ihn.«
    Ich sah Cole in die Augen und hielt seinen Blick fest.
    Oben fing der Teekessel an zu pfeifen und Sam hastete wortlos die Treppe hoch, um ihn zum Schweigen zu bringen – eine willkommene Gelegenheit für ihn, dachte ich, den Raum zu verlassen. Beim Gedanken daran, Becks Verwandlung herbeizuführen, bildete sich ein unbehaglicher Klumpen in meinem Magen. Ich hatte allzu schnell wieder vergessen, wie

Weitere Kostenlose Bücher