In deinen Augen
Draußen erwachten die Vögel. Im Haus war alles still, der Morgen war nicht kalt genug, dass die Heizung angesprungen wäre. Es war schwer, nicht die ganze Zeit daran zu denken, dass Cole hier direkt neben mir lag, auch wenn er gar nichts sagte, besonders aber, weil er so gut roch und ich mich nur zu gut daran erinnern konnte, wie es gewesen war, ihn zu küssen. Außerdem konnte ich mich daran erinnern, wie ich Sam zum letzten Mal Grace hatte küssen sehen, vor allem daran, wie er sie beim Küssen an sich gedrückt hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Coles und mein Kuss genauso ausgesehen hatte. Der Gedanke an all das ließ es wieder laut und überfüllt in mir werden, ließ das Verlangen nach Cole erwachen und zugleich meine Zweifel, dass dieses Verlangen nach ihm das Richtige für mich war. Ich fühlte mich schuldig, schmutzig, euphorisch, als hätte ich bereits nachgegeben.
»Cole, ich bin müde«, sagte ich. Und sobald ich es ausgesprochen hatte, hatte ich keine Ahnung mehr, was ich damit eigentlich sagen wollte.
Er antwortete nicht. Er lag einfach da, stiller, als ich es bei ihm für möglich gehalten hatte. Irritiert über sein Schweigen, war ich kurz davor, ihn zu fragen, ob er mich gehört hatte.
Schließlich, als die Stille so vollkommen war, dass ich hören konnte, wie sich seine Lippen vor dem Sprechen öffneten, sagte er: »Manchmal denke ich darüber nach, zu Hause anzurufen.«
Ich war an Coles Selbstbezogenheit gewöhnt, aber das hier fühlte sich an wie ein neuer Negativrekord: Er kaperte mein Geständnis einfach mit einem eigenen.
Er sagte: »Ich stelle mir immer vor, wie ich einfach zu Hause anrufe und meiner Mom sage, dass ich nicht tot bin. Wie ich meinen Dad anrufe und ihn frage, ob er Lust hat, mit mir darüber zu plaudern, was Meningitis auf der Zellebene so mit einem anstellt. Oder wie ich Jeremy anrufe – das war unser Bassist – und ihm sage, dass ich nicht tot bin, aber sie nicht mehr nach mir suchen sollen. Wie ich meinen Eltern sage, dass ich nicht tot bin, aber nie mehr nach Hause komme.« Danach schwieg er so lange, dass ich schon dachte, er sei fertig. So lange, dass ich zusehen konnte, wie das Morgenlicht die hübschen Pastelltöne in meinem Zimmer zum Leuchten brachte, während draußen der Nebel verpuffte.
Dann sagte er: »Aber ich werde schon müde, wenn ich nur daran denke. Es ist wie dieses Gefühl, das ich hatte, bevor ich gegangen bin. Als wären meine Lungen plötzlich aus Blei. Als könnte mir nie wieder etwas wichtig sein. Als würde ich mir wünschen, dass entweder sie tot wären oder ich selbst, weil ich die Last der Vergangenheit, die wir miteinander haben, nicht ertrage. Und das alles, bevor ich auch nur das Telefon in die Hand nehme. Ich bin so müde, dass ich nie wieder aufwachen will. Aber mittlerweile hab ich kapiert, dass es nie ihre Schuld gewesen ist, dass es mir so geht. Es lag immer an mir, die ganze Zeit.«
Ich antwortete nicht. Wieder fielen mir meine Gedanken auf der Toilette im Il Pomodoro ein. Diese Sehnsucht danach, einfach mal fertig zu sein, alles erledigt zu haben, nichts, gar nichts zu wollen. Ich bemerkte erstaunt, wie präzise Cole meine eigene Müdigkeit beschrieben hatte.
»Ich bin ein Teil dessen, was du an dir selbst so hasst«, sagte Cole. Es war keine Frage.
Natürlich war er ein Teil dessen, was ich an mir selbst hasste. Alles war ein Teil dessen, was ich an mir selbst hasste. Das war nichts Persönliches.
Er setzte sich auf. »Ich gehe dann mal.«
Ich konnte noch immer seine Wärme auf der Matratze spüren. »Cole«, fragte ich, »findest du mich liebenswert?«
»Im Sinne von ›knuffig und knuddelig‹?«
»Im Sinne von ›es wert sein, geliebt zu werden‹«, erklärte ich.
Cole blickte mich unverwandt an. Nur für einen Moment hatte ich den seltsamen Eindruck, genau erkennen zu können, wie er ausgesehen hatte, als er jünger war, und wie er aussehen würde, wenn er älter wäre. Er erschütterte mich, dieser flüchtige Einblick in seine Zukunft. »Vielleicht«, erwiderte er. »Aber du lässt ja nicht zu, dass es irgendjemand versucht.«
Ich schloss die Augen und schluckte.
»Ich sehe einfach nicht den Unterschied zwischen nicht kämpfen«, sagte ich, »und aufgeben.«
Obwohl meine Augenlider fest geschlossen waren, stahl sich eine einzelne, heiße Träne aus meinem linken Auge. Ich war so wütend über diese Träne. Ich war so wütend.
Die Matratze neben mir senkte sich, als Cole näher rückte. Ich spürte,
Weitere Kostenlose Bücher