In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
ging dran.
»Den ganzen Morgen rufen schon Opfer bei uns an und erkundigen sich, ob es deren Fotos sind.«
Das war genau der Grund, weshalb Anya fand, dass unter keinen Umständen Fotos gemacht werden sollten. Unkolorierte Bleistiftzeichnungen von Geschlechtsteilen waren für Pädophile und Sexualverbrecher wenig attraktiv. Ein solcher Skandal musste dem Zentrum und dem Vertrauen, das sie sich bei Opfern und der Gesellschaft mit so viel Mühe erarbeitet hatten, irreparablen Schaden zufügen. Sie war sich sicher, dass die Zahl derjenigen, die sich hier meldeten, rapide zurückgehen würde.
»Bis die Polizei die Computer und Netzwerke überprüft hat, können wir nicht viel tun. Ich bin in meinem Büro.«
Mary wandte sich wieder dem PC zu. Es gab nichts weiter zu sagen, bevor die undichte Stelle nicht identifiziert war.
Mehr als zwei Stunden versteckte Anya sich in ihrem Zimmer. Heute erschien es ihr eher ein Asyl denn eine Abstellkammer zu sein. Sie war dankbar dafür, dass niemand sich länger als nötig hier aufhalten wollte. So hatte sie Zeit, nachzudenken und sich noch einmal die Unterlagen vorzunehmen, die ihr nach wie vor zu schaffen machten. Irgendetwas war da, was sie übersah. Etwas Offensichtliches.
Desiree Platts Bemerkung zu Schmerz und Liebe ließ ihr immer noch keine Ruhe. Hatte sie Kontakt zu dem Vergewaltiger gehabt, sei es als Freundin oder als Opfer? Nick hatte gesagt, sie übernachte regelmäßig bei ihnen, wenn ihr Partner arbeite oder unterwegs sei. Vielleicht war sie vergewaltigt worden und hatte nun zu viel Angst, um allein zu bleiben. Oder trieb sie es am Ende mit Nick Hudson, während ihr Freund weg war? Wie viele Freunde aus Fisherman’s Bay gab es eigentlich, die diesen Satz benutzten?
Von Dell, dem Vergewaltigungsopfer, das sie dort kennen gelernt hatte, wusste sie, dass die meisten Männer in der Nickelmine arbeiteten. Damit kamen unzählige Männer in Frage, und es dürfte schwierig werden, viele von ihnen zwanzig Jahre später noch ausfindig zu machen.
Sie versuchte es auf einem anderen Weg und rief beim staatlichen analytischen Labor an. Die Anzahl der Vergewaltigungen, bei denen ein Kondom benutzt wurde, nahm stetig zu, vielleicht, weil die Täter Angst vor Geschlechtskrankheiten hatten. Wahrscheinlicher aber war, dass die Täter keine Körperflüssigkeiten am Tatort hinterlassen wollten.
Bei jeder Vergewaltigung machten Rechtsmediziner einen eigenen Abstrich, für den Fall, dass sich das Gleitmittel eines Kondoms identifizieren ließe. Eine andere von Jean Le Beaus Studentinnen hatte bahnbrechende Erkenntnisse zur Identifizierung individueller Kondom-Gleitmittel erarbeitet. Jeder Hersteller verwendete ein eigenes Rezept, das quasi einen chemischen Fingerabdruck darstellte. Das Eruieren der Marke konnte ein wichtiger Schritt zur Ergreifung des Vergewaltigers sein.
Sie wurde zu Ethan Gormley, dem leitenden Biochemiker, durchgestellt. Er fütterte seinen Computer mit den Namen und Daten.
»Sie haben Recht«, sagte er. »Auf jedem der Abstriche, die Sie genommen haben, befindet sich dasselbe Gleitmittel auf Silikonbasis, und das heißt …«
»Er hat jedes Mal dieselbe Marke benutzt.«
Anya hörte zu. Serienvergewaltiger, die Kondome benützten, griffen gewöhnlich immer zur selben Marke. Für die meisten Menschen war eine Marke so gut wie die andere, aber mancher Vergewaltiger sah das offenbar anders.
»Richtig. Es ist importiert und nennt sich Fluidity, wie originell.«
»Danke, Ethan. Können Sie mir das Ergebnis per E-Mail schicken?«
Sie dachte an die Vergewaltigung Eileen Randalls. Hatte es diese Marke vor zwanzig Jahren schon gegeben? Wie hoch standen die Chancen?
Durchdringende Pfeiftöne rissen sie aus ihren Gedanken.
Bevor sie zu ihrem Piepser griff, schob sie die Papiere automatisch zu einem Stapel zusammen. Es war schlimm genug, dass es in einem Zentrum für sexuelle Übergriffe zu einer Indiskretion gekommen war, und genau solche Unterbrechungen führten dazu, dass jemand abgelenkt wurde und ein Zimmer verließ, ohne seine Sachen wegzuräumen.
Seltsamerweise zeigte das Display die Nummer der Krankenhauszentrale. Gewöhnlich wurden Anrufe von dort direkt an die Stationssekretärin durchgestellt.
»Ein externer Anruf«, teilte die Telefonistin mit. Ein Klick, dann das Krächzen von Hayden Richards’ Stimme.
»Können wir uns treffen? Es ist wichtig.«
»Pass auf, Sorrenti hat sich ziemlich unmissverständlich geäußert.«
»Hab ich mitgekriegt, aber
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