In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
auf Nummer Sicher.
Anya beschloss, den Faden des Gesprächs aufzunehmen. »Kennen Sie ihn denn schon lange?«
Desiree lächelte. »Nick und ich, wir sind miteinander gegangen, als ich auf der Highschool war. Damals hat er seine Rute nicht in der Hose halten können, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber«, fügte sie hinzu, »das ist inzwischen anders. Damals war er noch jung und dämlich.«
»Sie kennen sich ja wirklich sehr lange.«
Desiree hörte mit dem Nadelgeklapper auf und streckte sich nach einem Foto auf einem Beistelltischchen. »Das bin ich mit Nick und ein paar anderen Freunden. Der da vorn auf der Wiese sitzt, das ist Luke. Das sind Badger, Carrot und noch ein paar andere. So richtig kann ich die zwei zwar auch wieder nicht leiden, aber sie sind immer noch gute Kumpels. Und das nach all der Zeit.«
Anya ging zu dem Foto und nahm es mit an ihren Platz. In ausgeblichenen Farben sah man Mädchen mit Schulterpolstern und auftoupierten Haaren und Jungs mit Sowjetsternen. Jedes Gesicht lächelte der Zukunft voll Zuversicht entgegen.
»Wann sind Sie aus der Bai fortgezogen?«
»Ach, das war, nachdem Luke gegangen war. Ich hab ein paar Jahre als Obstpflückerin rumgegammelt, war mit einem echten Totalversager zusammen und hatte nicht genug Geld, um fortzugehen. Vor ein paar Jahren hab ich Nick wiedergetroffen, und da war dann auch Luke. In der Bai haben wir uns gar nicht so gut gekannt, aber schon in der Disco war mir klar, dass er der Richtige ist.«
Anya stellte das Foto an seinen Platz zurück und trank einen Schluck Wasser. »Gefällt Ihnen Sydney?«
»Manchmal sind die Leute hier schon ziemlich arrogant, aber für Kinder ist es toll.« Sie strickte noch ein paar Maschen. »In der Großstadt sind wir besser dran. Außerdem sind alle unsere Freunde hier. Wissen Sie, in der Bai leben nicht mehr viele von der alten Clique.«
»Als ich aus England zurückgekommen bin, hat es ein Jahr gebraucht, bis ich mich wieder eingelebt hatte.«
»Nächste Woche werden es drei Monate, dass wir hier sind.«
Anya musste irgendwie auf sexuelle Gewalt zu sprechen kommen, wusste aber nicht, wie sie das Gespräch in diese Richtung lenken sollte. Desiree wirkte erschöpft, unter den kleinen braunen Augen hatte sie schwarze Schatten. Es war die Erschöpfung, die jede Schwangerschaft unausweichlich mit sich bringt.
Desiree beugte sich vor, und ihre Brüste legten sich auf den Bauch. »In der Zeitung hab ich gelesen, dass Sie sich um Frauen kümmern, die vergewaltigt worden sind.«
»Das ist eine meiner Aufgaben«, erwiderte sie, froh, dass Desiree das Thema angeschnitten hatte.
»Das muss furchtbar sein. Da werden die überfallen, obwohl doch massenhaft Frauen rumrennen, die scharf darauf wären, mit jemandem Sex zu haben.«
»In der Tat.« Die Bemerkung verblüffte Anya, und sie versuchte, den Gesichtsausdruck der werdenden Mutter zu interpretieren. »Manchmal kommt in der Schwangerschaft die Erinnerung an einen Übergriff wieder zum Vorschein.«
Desiree nickte und wickelte Wolle ab. »Das haben sie in der Schwangerensprechstunde auch gesagt. Es hieß, in der Schwangerschaft kann alles mögliche Missbrauchszeug und so wieder hochkommen.«
»Richtig. Das gehört zu den Standardpunkten, die man bei dieser Gelegenheit mit jeder Frau bespricht.«
Das Gespräch stockte.
Anya musste es wieder in Fahrt bringen. »Ich habe mir durch den Kopf gehen lassen, was Sie da neulich gesagt haben, dass man Schmerzen spüren müsse, um lieben zu können. Das war sehr tiefsinnig.«
Desiree lachte und winkte ab. »Ja, das haben die Jungs daheim immer gesagt, bevor sie mit einem Mädchen ins Bett sind. Und es hat sogar fast immer gestimmt. Wenigstens bis ich Luke kennen lernte. Er behauptet das Gegenteil. Aber Sie sind schließlich Ärztin, Sie kennen sich da natürlich aus.«
Es machte Anya traurig, dass junge Frauen sich schmerzhaften Sex aufzwingen ließen, nur weil »es eben so ist«.
»Freut Luke sich darauf, Vater zu werden?«
»Er gewöhnt sich langsam an die Vorstellung.« Desiree schob sich zentimeterweise zur Sesselkante vor. »Sagen wir einfach, manchmal muss man eben ein bisschen nachhelfen.«
Anya verstand nicht.
»Ganz so helle seid ihr Ärztinnen wohl doch nicht«, spottete sie. »Ich hab seine Pariser angestochen.« Sie hielt die Stricknadel hoch, als stäche sie in einen imaginären Luftballon. »Winzig kleine Löchlein, die er nicht bemerkt hat. Das ist unser kleines Geheimnis«, sagte sie und rutschte wieder
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