In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
anschließen. In dieser Nacht konnte Willard Scheiße nicht von Lehm unterscheiden. Die Polizei hat ihm das Geständnis untergeschoben. Der Fall könnte neu aufgerollt werden, wenn wir einen materiellen Beweis auftreiben. Aber bislang haben wir nichts, um Lerner mit der Ermordung Eileen Randalls zu belasten.«
»Selbiges gilt für den Mord an Elizabeth Dorman«, ergänzte Hayden.
»Vielleicht bekommt ihr, was ihr braucht«, meinte Anya. »Mir ist gerade etwas eingefallen. Ich glaube, ich weiß, wo der fehlende materielle Beweis aufzutreiben ist.«
47
Morgan Tully saß hinter ihrem Schreibtisch und hörte sich Anyas Ansinnen mit versteinertem Gesicht an.
»Ich verstehe Ihre Argumentation, aber die Abteilung verfügt nicht über die Mittel, um Fällen nachzujagen, die schon vor Jahrzehnten zu den Akten gelegt wurden. Wir können schon die Anfragen zu aktuellen Verbrechen nur mit Mühe bewältigen.«
Sie stieß den Sessel zurück, stand auf und zog die Bürotür zu. »Es kann bis zu acht Monate dauern, bis wir die Dokumentation zu einem sexuellen Übergriff bearbeitet haben. Da kann ich Ihrem Anliegen einfach keine Priorität einräumen.«
Anya stellte die braunen Papiertüten auf den Tisch. Morgan bekam einen Niesanfall, offenbar hatte sie eine Stauballergie. Nach dem Prozess hatte Charlie Boyd sich die Sachen als Souvenir genommen, und alle Welt hatte sie vergessen – bis heute. Es war nicht das erste Mal, dass ein Polizist sich Beweismittel aus einem Prozess unter den Nagel riss, vor allem, wenn es sich um das größte Ereignis in seiner Laufbahn handelte. Zum Glück war er kooperativ gewesen, glaubte er doch, die moderne Wissenschaft könne Willards Schuld beweisen. Dabei war dem Polizisten im Ruhestand gar nicht in den Sinn gekommen, dass die Wissenschaft auch einen Unschuldigen entlasten konnte.
»Das hier hat zwanzig Jahre lang im Schuppen eines Polizisten gelegen, während Geoffrey Willard eine Gefängnisstrafe für ein Verbrechen verbüßte, das er wahrscheinlich gar nicht begangen hat. Es bestehen zumindest ausreichend berechtigte Zweifel, um eine neuerliche gerichtliche Untersuchung anzuordnen.«
Morgan nahm ein Papiertuch aus dem Spender, wandte sich ab und putzte sich die Nase. »Dann wenden Sie sich an den Oberstaatsanwalt.«
Das hatte Anya bereits versucht. Der offizielle Bescheid aus dem Büro des Oberstaatsanwalts lautete, ein Geschworenengericht habe Geoffrey Willard auf der Grundlage von Beweisen, Motiv und Möglichkeit verurteilt. Da DNA-Tests zu jener Zeit noch nicht zur Verfügung standen, lag ein Fehlurteil aufgrund genetischen Beweismaterials nicht vor.
Sie war gegen eine Wand angerannt. Eine Überprüfung von Eileen Randalls Kleidung wurde abgelehnt, solange nicht ein anderer für die Morde an Dorman und Turnbull verurteilt war. Wenn das aber geschähe, würde der Täter ohnehin zweimal lebenslänglich absitzen. Es wäre reine Zeitverschwendung, das Beweismaterial im Fall Randall zu untersuchen, da niemand Geld für einen zusätzlichen Prozess gegen einen Mörder lockermachen würde, wenn das Urteil keinerlei reale Auswirkung auf die zu verbü ßende Strafe haben konnte. Die Verfolgung von Straftaten und die Justiz orientierten sich am Geld und an der Durchführbarkeit.
Man hatte Geoff Willard mutmaßlich unrechtmäßig um zwanzig Jahre seines Lebens betrogen, aber niemand machte sich etwas daraus, da es in der Vergangenheit lag. Seine Chancen auf einen Freispruch stünden besser, säße er noch hinter Gittern.
»Die Staatsanwaltschaft will nichts damit zu tun haben«, räumte sie ein.
Morgan setzte sich wieder. »Das wundert mich nicht. Ich brauche eine bessere Begründung, wenn ich eine neuerliche Untersuchung von Eileen Randalls Tod anordnen soll.« Sie verschränkte die Finger, als wolle sie das Urteil sprechen. »Ist es der Wunsch der Angehörigen?«
Anya stand mit gesenktem Kopf da und hatte beide Hände flach auf die Tischplatte gelegt. »Uns sind keine Angehörigen bekannt.«
»Aha.«
»Es gibt zwei weitere Morde mit vergleichbaren Verletzungsmustern, von denen einer begangen wurde, als Geoffrey im Gefängnis saß. Wenn sich in dieser Unterwäsche« – sie legte die Hand auf die schmutzige Tüte – »die DNA von Barry Lerner findet, dann ist Lerners Schuld auch an den neuen Morden so gut wie bewiesen.«
»Und damit auch Willards Unschuld.«
Die Coronerin schob die Tüten an die Tischkante und wischte sich mit einem frischen Papiertuch die Hände ab. »Und genau da
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