In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
wurde.«
Sorrenti zückte das Handy. »Dann sollten wir uns schnellstmöglich mit der Mordkommission zusammentun und das Dreckschwein festnehmen.«
49
Anya parkte den Wagen, schleppte die grüne, mit Milch, Gemüse und Brot vollgestopfte Tasche durch die Haustür und sperrte dann ganz automatisch hinter sich ab. Sie entspannte sich, als sie feststellte, dass Elaine schon nach Hause gegangen war. Im Augenblick wollte sie mit niemandem reden, wollte sich nicht fragen lassen, wie der Tag gewesen sei, sich nicht bemitleiden lassen für das, was sie gesehen hatte. Durch das Wohnzimmerfenster drang mildes Licht herein, und es blieb noch etwas Zeit, um die Stille zu genießen, bevor die Nacht anbrach. Nach dem Abendessen kam Ben über das Wochenende, und dann gab es im Haus Radau, Gekuschel und Gelächter genug. Sie konnte es kaum erwarten.
Sie packte die Einkäufe aus, streifte die Schuhe ab, setzte sich aufs Sofa und schaute die Post durch. Rechnungen, mehr Rechnungen und ein Brief von ihrem Bruder Damien aus England. Der Rest konnte warten, genauso wie die E-Mails und die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Ausnahmsweise einmal hatte sie keinen Bereitschaftsdienst und überließ das Zentrum für sexuelle Übergriffe mit Freuden einer anderen.
Sie zog die Beine an, las den Brief, und unmerklich verwandelte ihr Lächeln sich in lautstarkes Lachen. Damien konnte wundervoll erzählen, so dass aus der langweiligsten Anekdote darüber, wie er sich in London verlaufen hatte, das aufregendste Abenteuer wurde. Er fehlte ihr, und sie dachte an das, wovon er nicht erzählte. Kein Wort über eine Freundin, über sein Privatleben. Er berichtete von seiner Arbeit in der forensischen Forschung, aber das Fehlen jedweder persönlicher Äußerung weckte in ihr den Verdacht, dass er einsam sein müsse. Sie würde noch ein paar Stunden abwarten, bis in England der Arbeitstag begonnen und sie Ben zu Bett gebracht hätte, und dann wollte sie ihn anrufen.
Sie sah auf die Uhr und schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher ein. Eine Quizsendung konnte ihre Aufmerksamkeit nur einen Augenblick lang fesseln. Ohne Ton war es viel besser. Es wurde langsam dunkel, und sie beschloss, kurz unter die Dusche zu gehen und sich zu erfrischen.
Beim Ausziehen kam ihr das Bild Barry Lerners in den Sinn. In Gedanken rekapitulierte sie die Fakten. Durch das Blut von Elizabeth Dorman auf dem Messer war er praktisch überführt. Sie konnte nur erahnen, wie die Frauen sich fühlten, wenn er sie überraschte. Hielt die Angst sie davor zurück, sich zu wehren? Melanie Havelock musste vor Furcht gelähmt gewesen sein, da sie im Schlafzimmer blieb, während er sich den Bauch vollschlug. Das Wissen, dass die Polizei ihn in Gewahrsam hatte, würde viele Frauen heute Nacht ruhiger schlafen lassen. Sie hoffte nur, dass sie diesmal auch wirklich den Richtigen hatten. Die Frage aber, weshalb er nur zwei Frauen nach der Vergewaltigung ermordet haben sollte, beunruhigte sie.
Sie stellte den Boiler auf vierzig Grad Celsius ein und drehte den Heißwasserhahn auf. Dampfendes Wasser rann ihr über den Nacken und die Schultern. Sie dachte an die Auswirkungen, die Lerner auf das Leben so vieler Menschen gehabt hatte.
Seit der Tat hatte Melanie Angst vor dem Nacktsein, so dass sie nur noch im Badeanzug duschte. Jodie Davis hatte das Haus verkauft und war mit ihrer Familie fortgegangen, vielleicht in die Vereinigten Staaten. Louise Richardson würde ihren Beruf womöglich nie wieder ausüben.
Der Dampf beschlug die Wände der Duschkabine. Bei voll aufgedrehtem Hahn floss das Wasser über ihren Körper. Das Prickeln der Hitze war wie eine pulsierende Massage. Der schmale Grat zwischen Lust und Schmerz, dachte sie. Ganz anders, als Schmerz fühlen zu müssen, um Liebe empfinden zu können.
Jeder Muskel war so erschöpft, als hätte sie einen Marathon gelaufen. Gott sei Dank hatte sie die Ziellinie erreicht. Sie schloss die Augen und genoss diese Momente, die sie ganz für sich hatte.
Die Liste von Lerners Opfern wurde länger und länger. Verbrechen pflanzten sich wie in konzentrischen Kreisen durch die ganze Gesellschaft hindurch immer weiter fort. Es gab niemals nur ein Opfer. Lerner hatte das Leben der Angehörigen und Freunde seiner Opfer für immer verändert. Es war wie eine unumkehrbare chemische Reaktion. Niemand konnte je wieder so weitermachen wie zu den Zeiten, bevor er zugeschlagen hatte. Auch das Leben der Ermittlungsbeamten hatte sich verändert. Jedem,
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