In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
Assistent breitete ein frisches, weißes Laken über ihren Körper und drapierte ein zweites so um die Kopfverletzung, dass nach Möglichkeit nur der unverletzte Teil des Gesichts zu sehen war. Was auch immer die Todesursache oder wie der Zustand der Leiche war, die Mitarbeiter gaben sich stets die größte Mühe, den Angehörigen jedwedes zusätzliche Leid bei der Besichtigung zu ersparen.
Auch dies war eine solche Aufgabe, die zwar niemand gerne übernahm, die aber weiteres, unnötiges Leid zur Folge hätte, würde sich niemand dafür opfern. Der letzte Anblick eines geliebten Menschen war oftmals derjenige, der am längsten im Gedächtnis haften blieb.
Als alles zu seiner Zufriedenheit erledigt war, rollte der Assistent den Metalltisch an ein Sichtfenster. Peter und Anya verließen den Raum, bevor er den Vorhang zurückzog.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie, als er sich im Becken auf dem Flur die Hände wusch.
»Mit diesem Bandenkrieg hatten wir wirklich alle Hände voll zu tun, aber bis heute Nachmittag müsste es aufgearbeitet sein.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Ich kann auf Durchzug schalten, wenn wir Kinder reinkriegen, deshalb übernehme ich die auch selber«, sagte er und trocknete sich die Hände mit einem Papierhandtuch ab. »Diese Fahrerflucht hat mir nichts ausgemacht. Leid tut mir nur der junge Streifenpolizist, der es den Eltern beibringen musste.«
Peters sachliche Distanziertheit hatte Anya von jeher erstaunt. Als Mutter empfand sie Autopsien von Kindern als höchst problematisch. Von allen Pathologen gelang es Peter am besten, seine Gefühle auszublenden.
Er klatschte in die Hände. »Wie wär’s mit einer Tasse Tee?«
»Liebend gern. Ich warte schon mal in deinem Büro.«
In lindgrünem Hemd und gelber Krawatte trat Peter kurz nach Anya ein. Braune Kordsamthosen rundeten sein Outfit ab. Er stellte zwei Teetassen auf den Schreibtisch und schloss die Tür, etwas, das er sonst kaum je tat.
Er nahm einen Stapel Papier von dem Stuhl neben Anya und setzte sich.
»Was ist eigentlich aus deiner Bachelor-Studentin geworden?«, erkundigte sich Anya.
»Ah, Zara Chambers. Hat eine hervorragende Abschlussarbeit vorgelegt. Sie macht gerade ihren Doktor in Medizin, aber irgendetwas sagt mir, dass sie zurückkommen wird.«
Sie tranken ihren Tee. Peter schien bedrückt.
»Es wird gemunkelt, du würdest gegen Alf Carney ermitteln.«
Anya hätte beinahe den Tee verschüttet. Wie viele Leute wissen davon?
»Ich ermittle überhaupt nicht. Morgan Tully hat mich um eine zweite Meinung zu ein paar Fällen gebeten, das ist alles. Daran ist nichts Ungewöhnliches. Wir wurden alle schon einmal gebeten, die Arbeit unserer Kollegen zu revidieren.«
»Ich vermute allerdings, dass in diesem Fall mehr dahintersteckt«, sagte er und sah auf.
»Dann weißt du mehr als ich.« Anya hasste es, auf Haarspaltereien ausweichen zu müssen, vor allem gegenüber Freunden.
Peter lehnte sich zurück und schob sich die Brille auf den Kopf. »Morgan hat dich in eine sehr heikle Lage gebracht. Ich kenne Alf seit Jahren, aber seit einiger Zeit wird in Polizeikreisen über ihn getuschelt.«
»Und du hast gewusst, dass seine Befunde zweifelhaft sind?«
»Ich wollte nur sicherstellen, dass eine Untersuchung seines Vorgehens fair und objektiv ist. Deshalb habe ich dich Morgan empfohlen.«
Anya sank gegen den Schreibtisch zurück. »Du hast es gewusst, und du hast gewollt , dass ich seine Arbeit überprüfe?«
Peter kraulte sich den graumelierten Bart. »Es ist nicht leicht, einen Kollegen zu überprüfen, wenn das Ergebnis das Ende seiner Karriere bedeuten könnte. Natürlich setzt dich das gehörig unter Druck, aber du kannst damit umgehen, und dein Sachverstand ist völlig unbestritten.«
»Im Klartext heißt das?«
»Alf ist schon sehr lange dabei, und er hat sich seine Feinde geschaffen. Wie wir alle, wann immer wir eine umstrittene Entscheidung getroffen haben. Er hat es nicht leicht gehabt. Ich habe den Verdacht, das College für Pathologie will ihn aus politischen Gründen aus dem Dienst entfernen, und du sollst dabei die Erfüllungsgehilfin spielen.«
Anya gefiel die Richtung, die dieses Gespräch nahm, überhaupt nicht. Plötzlich fühlte sie sich unbehaglich und war sehr enttäuscht von ihrem ehemaligen Lehrer. Sie stellte die Tasse ab und erklärte: »Tut mir leid, aber ich kann nicht zum Essen bleiben.«
Peter Latham erhob sich. »Ich will dich nicht beeinflussen, Anya. Du hast mich da wahrscheinlich
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