In deiner Hand
aggressiv zu machen, dass ich ihn am liebsten eigenhändig erwürgen wollte. Ich hatte immer angenommen, dass all die Umstände, die uns aneinander ketteten, dafür gesorgt hatten. Haiss kannte ich nicht, trotzdem wollte ich ihm auf eine Weise Wunden zufügen, die kein normaler Mensch überleben würde. Warum zum Teufel war das so? Der Typ sah aus wie ein Vollidiot und er bewegte sich wie ein Neandertaler, der gerade das Feuer entdeckt hatte. Also was war es, dass so auf mich ansprang?
Die Doppelstunde zog sich wie Kaugummi und allmählich beschlich mich das Gefühl, dass Haiss wirklich meine Nähe suchte.
Oh Gott! Vermutlich findet er es total scharf, dass ich ihm vor der ganzen Schule an die Wäsche gegangen bin! Uah! So eine verdammte Kacke!
Er strapazierte meine Nerven so sehr, dass ich immer ruppiger mit meinen Mitschülerinnen umging. Hier schubste ich, da stieß oder trat ich ganz ausversehen auf einen Fuß. Immer wieder wurde ich ermahnt und landete schlussendlich auf der Bank. Rausschmeißen wollte die Alte mich nicht, weil sie wohl dachte, dass ich genau das plante, um schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Nicht, dass es keinen Grund gäbe, genau das zu wollen. Immerhin befummelte Gadget wahrscheinlich gerade meine Mum! Im Moment jedoch trippelte ich unruhig auf der Stelle und sehnte mich mit jeder weiteren Sekunde danach, endlich die Halle zu verlassen und draußen meine Runden laufen zu können.
Jaja, ich hatte das Training eigentlich streichen wollen, aber so wie ich mich gerade fühlte, würde ich dem Erstbesten, der mir einen schiefen Blick zuwarf oder mich auf meine grün-blaue Visage ansprach, vermöbeln. Das Adrenalin pumpte durch meinen Körper und meine Beine wurden immer unruhiger. Ich stand auf, ging ein paar Schritte, setzte mich wieder hin. Diese Prozedur wiederholte ich so lange bis es endlich klingelte. Ehe irgendjemand auch nur auf den Gedanken kam, sich zur Umkleide zu begeben, heizte ich schon über den leeren Flur zum Hinterausgang. Mit dem Fuß versetzte ich der schweren Glastür einen saftigen Tritt. Mein Knie protestierte kurz. Sobald mir die frische Luft ins Gesicht schlug rannte ich los. So schnell meine Füße mich tragen konnten, flitzte ich den schmalen, gepflasterten Weg zum Sportplatz entlang. Coach Kallen verstaute gerade Fußbälle in einer vergitterten Kiste und knallte den Deckel zu. Als er mich sah, stutzte er und rieb sich die Augenbrauen.
„Was machst du denn hier, Verry?“
„Training!“, schnaufte ich nur und hüpfte auf der Stelle. „Wir sollten die Hürden aufstellen. Mir ist danach!“
„Keine Chance!“ Er zog sich die Baseballkappe vom Kopf und kratzte über seinen fast kahlen Schädel. Ich hatte nie zuvor jemand mit einer solchen Eierbirne gesehen. „Hast du meine E-Mail nicht bekommen? Das Training fällt heute aus!“
„Das geht nicht!“, protestierte ich lautstark. „Ich MUSS laufen! JETZT!“ Der Coach seufzte leise und schüttelte den Kopf. Dann beugte er sich vor und verschloss die große Kiste mit drei Schlössern. Als ob das was bringen würde! Wenn die großen Jungs spielen wollten, würden sie eben alle drei Schlösser knacken. Am Nachmittag wagte sich sowieso kein Lehrer mehr in diesen Teil der Schule. Nur wenige Schüler blieben länger, um dem Training der Schulmannschaften im Rugby zuzusehen. Donnerstagnachmittags jedoch hatte ich den gesamten Platz für mich alleine. Wer interessierte sich an dieser Schule auch schon fürs Laufen? „Tut mir leid! Wir verschieben es auf nächste Woche!“ Ehe ich etwas erwidern konnte, marschierte er in seinem dunkelblauen Trainingsanzug von dannen. Die Trillerpfeife an seiner Hand klickerte leise, als sie gegen den Ehering stieß. Kallen war ein komischer Kauz. Niemand wusste, wieso er sich die Pfeife nicht um den Hals hing. Irgendjemand hatte mal das Gerücht verbreitet, dass er von ein paar Junkies beinahe erwürgt worden war und es daher vermied, sich etwas umzuhängen. Was auch die kragenlosen Shirts erklären würde. Doch niemand machte sich über die weit ausgeschnittenen Klamotten lustig, denn Coach Kallen hatte etwas an sich, dass einem Angst einjagen konnte. Er war, was die körpereigene Kondition betraf, knallhart! Und wenn man ihn beleidigte, oder ihm zu wenig Respekt zollte, konnte er einen schon mal vom Training ausschließen oder den ganzen Tag wie ein Karnickel über Hürden springen lassen. Je nachdem wie aufmerksamkeitsgeil der Betreffende war, konnte sich das bedeutend negativ auf das
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