In deiner Hand
keinen Raum für irgendwelche Entschuldigungen. Er bringt uns damit alle in Gefahr. Nicht nur dich, Verry! Er hat uns, seine Familie, wie du so schön sagst, ans Messer geliefert.“
„Aber ihr könnt ihn nicht verurteilen“, hakte ich nach. „Erik ist jetzt euer Anführer. Welche Gewalt ist höher als seine? Wer klagt ihn an?“
„Er ist ein Verräter! Niemand duldet einen Verräter in unseren Reihen. Darauf steht die Todesstrafe. Mit dieser Tat wird eine Welle ins Rollen bringen, die niemand aufzuhalten vermag.“
„Das beantwortet aber nicht meine Frage.“
„Verry.“ Brian stöhnte sichtlich genervt und strich sich die Haare zurück. „Erik ist bereits seit einer knappen Woche von dir getrennt. Es bedarf keines Genies um zu wissen, was das bedeutet.“ Selbst ein Kind konnte ihn jetzt umbringen. Oder aber er verhungerte. „Aus diesem Grund bringen wir dich von hier fort“, schloss er beim letzten Gruppengespräch an.
„Wenn er so schwach ist, bedeutet er für euch doch sowieso keine Gefahr mehr“, grummelte ich patzig und versuchte aufzustehen. Ich hasste, dass ich körperlich so zerrüttet war.
„Auch wenn du es nicht hören willst, Verry. Erik ist bei Malik. Malik kann dich nicht mehr aufspüren, aber Erik ist dazu durchaus in der Lage. Du bist hier nicht mehr sicher.“
„Ich glaube nicht, dass Erik so weit gehen würde.“ Immer noch weigerte sich mein Gehirn, zu begreifen, was die anderen längst zu akzeptieren bereit waren. Erik war ein Verräter. Aber diese Aussage fühlte sich so wahnsinnig falsch an. Ich musste mich, so hirnrissig das klang, selbst davon überzeugen, dass Erik wirklich und wahrhaftig die Seiten gewechselt hatte.
Brian half mir, mich auf die Bettkante zu setzen und ging vor mir in die Knie. „Ich kann nicht zulassen, dass Malik dich in die Finger bekommt. Kannst du das nicht verstehen?“
„Und ich kann einfach nicht glauben, dass Erik ein Verräter sein soll!“, hielt ich dagegen.
Brian seufzte gedehnt. „Und wie willst du das Gegenteil beweisen? Willst du zu Malik gehen und Erik zur Rede stellen?“
„Wenn es sein muss?“
„Muss es nicht. Wir können auch einfach hier bleiben und auf die beiden warten“, knurrte er und seine schokoladenbraunen Augen färbten sich pechschwarz. Er streckte seinen Arm aus und berührte vorsichtig mein Kinn, dann ließ er ihn wieder sinken und stand auf. Brian drehte mir den Rücken zu. Seine Schultern bebten und zwischen seinen Schulterblättern breitete sich ein golden pulsierendes Muster aus. Wie kleine Rankepflanzen wuchs es in filigranen Schlingen seine Wirbelsäule entlang zum Bund seiner Hose.
„Wow“, hauchte ich. Brian atmete tief durch, straffte die Schultern und das Muster verblasste sofort wieder. Als er sich zu mir drehte, war der verbissene Ausdruck auf seinem Gesicht verschwunden. Er beugte sich zu mir runter und küsste mich. „Wie hast du das gemacht?“, wollte ich wissen.
„Was?“
„Na dieses abgefahrene Teil auf deinem Rücken!“
Er sah mich irritiert an. „Ich weiß nicht was du meinst.“
„Willst du mich veräppeln?“ Ich stand vorsichtig auf, griff nach seiner Schulter und humpelte vorsichtig um ihn herum. Mit dem Zeigefinger tippte genau zwischen seine Schulterblätter. „Genau da war es. Sah aus wie ein lebendes Tattoo.“
Seine Gesichtszüge versteinerten sich. Er schob mich blitzschnell zur Seite. Ich fand gerade so Halt an dem kleinen Nachtschrank neben dem Bett. Brian schritt ausgreifend nach nebenan ins Badezimmer und musterte sich mit einem Schulterblick in den Spiegel, wobei er sich fast den Hals ausrenkte.
„Da ist nichts“, grummelte er, als wolle ich ihn verarschen.
„Ich schwöre, es war da! Es war golden und ist …“, gewachsen, wollte ich sagen, kam mir aber plötzlich sehr doof dabei vor. „Es hat sich eben irgendwie ausgebreitet“, murmelte ich.
Brian starrte in den Spiegel, die rechte Hand auf der linken Schulter liegend. „Da ist nichts“, meinte er wieder, dieses Mal klang seine Stimme seltsam tonlos. Ich eierte nach nebenan, stellte mich neben ihn und malte mit dem Finger über seine Haut, damit er ungefähr nachvollziehen konnte, was ich meinte. Brian versteifte sich mit jedem Streichen meines Fingers.
„Das kann nicht sein“, murmelte er leise. Er wirbelte herum, eilte zurück ins Schlafzimmer und schlüpfte in seine Klamotten. „Das darf einfach nicht sein!"
„Was ist denn los?“ Ich steckte den Kopf ins Zimmer. „Du wirkst so … aufgewühlt.“ Ich zog die
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