In Den Armen Der Finsternis
Sein Gesicht wirkte unglaublich abgemagert, was ich seiner Erschöpfung zuschrieb. Und auch seiner Angst.
Er warf mir einen langen, ruhigen Blick zu, der so ernst war wie ein Grab, und wandte sich dann ohne ein Wort zu sagen ab. Ich konnte meinen Blick gar nicht von ihm losreißen und versuchte den alten Mann irgendwie mit Mr. Koenig in Einklang zu bringen. Sie glichen sich beide und waren beide doch so vollkommen anders.
Und beide trauerten.
Jack kniete sich hin. Ich sah einen schwarz gekleideten Körper neben ihm und eine pummelige, braune Hand.
Ich rappelte mich hoch, während mir das Herz bis zum Hals schlug. Grant sah mich finster an, ich streckte den Arm aus. »Vater Lawrence.«
Der Priester lebte noch und lag bewusstlos auf dem Rücken. Er atmete ruhig, sein Puls schlug kräftig, aber sowohl Jack als
auch Grant starrten den Mann an, als hätte er eine tödliche Krankheit, die ansteckend war. Ich kniete mich neben Vater Lawrence hin und berührte seine Hand. Seine Schreie konnte ich immer noch hören.
»Sei vorsichtig«, warnte mich Jack.
Ich packte die Hand fester. Vater Lawrence sah ebenso aus wie vorher, und sein Gesicht war im Schlaf entspannt. Aber ich wusste, dass dies nichts zu bedeuten hatte. »Wie stark wurde er verwandelt?«
»Stark genug«, erwiderte Grant grimmig.
Es war meine Schuld. Es hatte nichts bewirkt, dass ich geblieben war. Ich drückte seine Hand und sah mich im Club um. Dann hörte ich ein schwaches Stöhnen und bemerkte einige Bewegungen. Nephele lag nicht weit entfernt neben uns auf ihrem Gesicht.
»Sind sie denn alle verwandelt worden?«, fragte ich die Männer.
»Die meisten, ja.« Jack drehte sich ein wenig um und betrachtete den Raum. Seine Bewegungen wirkten sehr ruhig und zurückhaltend. Offenbar hatte er Schmerzen. Er war wund. Ich erinnerte mich daran, dass ihm schlecht geworden war, nachdem er mich durch das Labyrinth gebracht hatte. Grant war ein wesentlich größerer Mensch, und der alte Mann befand sich schon seit Tagen, Wochen oder gar Monaten auf der Flucht.
Ich nahm seine Hand - und meine Fingerrüstung glänzte im Kontrast zu seiner gebräunten, faltigen Haut. Jack sah mich überrascht an, mit einem Ausdruck, der kurz darauf weicher und trauriger wurde.
»Sie sind eine Gefahr für andere«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Grant riss seinen Blick von Vater Lawrence los und musterte
aus zusammengekniffenen Augen die Männer und Frauen um uns herum, die allmählich wach wurden. Dann griff er über die Schulter nach seiner goldenen Flöte, die in ihrem dunklen Etui steckte.
Jack fiel Grant in den Arm und hielt ihn auf. »Du musst entscheiden, wer wichtiger ist, Junge. Deine Ressourcen sind nicht grenzenlos, ganz gleich, was du in der Vergangenheit vollbracht hast.«
Grant schüttelte seinen Arm ab, griff jedoch nicht noch einmal nach seiner Flöte. Er sah von Vater Lawrence zu mir herüber. Sein Blick war wachsam. Hinter ihm stöhnte Nephele, ihre Finger zuckten. Immer mehr Leute kamen zu sich. Ich konnte sie nicht alle aufhalten, erhob mich jedoch langsam.
»Alter Wolf«, sagte ich. »Wenn sie frei herumlaufen, so wie sie sind …«
»Was sie sind, kann man nicht so leicht verändern«, unterbrach er mich und starrte mich an. »Und man kann sie nicht einsperren. Wenn du sie tötest …«
»Hör auf«, fiel ich ihm ins Wort.
»Wenn du sie tötest«, fuhr er hartnäckig fort, »kannst du vielleicht einige Leben retten, andere jedoch wirst du verdammen, diejenigen, deren einziger Fehler es war, an die Lüge eines leichten Lebens zu glauben, des Lebens von jemandem, der… besonders ist.«
Ich sah ihn an, innerlich zerrissen. Ich fühlte immer noch diese Hände an meiner Kehle, das Messer, das zwischen meine Beine glitt. Die Neigung zur Gewalt würde sich gewiss nicht auf diesen Club beschränken. Ebenso wenig spielte es eine Rolle, dass die meisten normalen Menschen nicht auf körperliche Gewalt vorbereitet waren, ganz gleich ob die Angreifer übernatürliche Kräfte besaßen oder nicht. Es standen nicht nur
unschuldige Leben auf dem Spiel. Irgendwann musste einfach einer von diesen seltsamen Katzenmännern und Frauen mit ihrer schuppigen Haut in einem Krankenhaus landen oder verhaftet werden. Die körperlichen Unterschiede würden nicht unbemerkt bleiben können.
Ich sah Grant an. »Was denkst du?«
Er blickte sich im Raum um, schwer auf seinen Stock gestützt. Er wirkte in diesem Club, umringt von diesen Gestalten, so unpassend wie
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