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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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vor. Er wischte sich mit dem blassen, knochigen Handrücken über die schweißnasse Stirn. »Grant, wo haben Sie dieses Mädchen denn aufgegabelt?«
    Grant ging langsamer und sah über die Schulter zurück, wobei
sein Blick kurz den meinen streifte, bevor er den Priester ansah. »An ihr haben Sie sicher kein Interesse, Antony.«
    »Natürlich nicht«, antwortete Vater Cribari kalt. »Aber Sie.«
    Die Schärfe seiner Stimme war unverkennbar, ebenso der gerissene Ton und die kalte, unerbittliche Ironie. Sie lieferten sich einen Machtkampf, ein ehemaliger Priester und ein wahrer Jünger des Herrn. Irgendwo darin lag auch die Pointe. Aber in der Wut, die in Grants Augen schimmerte, war nichts Amüsiertes zu erkennen, nicht das geringste. Ebenso wenig wie an der Art, in der seine linke Hand zu der Flöte auf seinem Rücken zuckte.
    Grant blieb so plötzlich stehen, dass wir fast gegen ihn geprallt wären, was es ihm erleichterte, sich vorzubeugen, bis seine Nase beinahe die von Vater Cribari berührte. »Wenn Sie sie in diese Angelegenheit mit hineinziehen, Antony …«, sagte er sehr leise.
    »… bringen Sie zu Ende, was wir angefangen haben«, unterbrach ihn der Priester ebenso ruhig. »Das weiß ich. Aber deswegen bin ich nicht hier.«
    »Sie sind nur der Bote«, flüsterte Grant. In seiner Stimme schwang eine so tödliche Melodie mit, dass mir die Kälte durch die Knochen fuhr. Vorsicht, dachte ich. Achte lieber auf die Grenzen, die du nicht übertreten solltest.
    Doch Grant nahm meine Hand und zog mich an sich, bevor er sich umdrehte und weiter durch den Flur humpelte. Ich lehnte mich an ihn, und er schlang seinen Arm um meine Taille. Vater Cribari blieb hinter uns. »Und ich hatte doch tatsächlich vor, mit ihm durchzubrennen.«
    Grant lächelte grimmig. »Du könntest es versuchen, aber dann müsste ich dich mit Gewalt zurückholen.«
    Wir hatten Grants Büro erreicht, das am vorderen Ende
eines langen Ganges lag, dessen Wände mit Blumen, Hummeln und Meerjungfrauen bemalt waren. Das war das Werk der Kinder, die die Tagesstätte des Obdachlosenheims besuchten, das am anderen Ende des Hauptflügels lag, weit entfernt von den Erwachsenen, die sich in dieser Einrichtung aufhielten. Ich konnte das Lachen der Kinder hören, hoch, süß und arglos, und dahinter die näselnden Stimmen von Zeichentrickfiguren. Offenbar war dies ein modernerer Film als alle, die ich kannte. Tom und Jerry war ganz offensichtlich nicht mehr angesagt.
    Eine alte Frau stand an Grants Bürotür. Ihre Erscheinung erinnerte an eine Vogelscheuche. Ihr wilder weißer Haarschopf sah aus, als trüge sie die Perücke von Einstein - und sie hatte ein Kleid aus einem Kartoffelsack an, das über und über mit pinkfarbenen Pudeln bedeckt war. Ihre Oberarme waren voller Narben, und in der Hand hielt sie eine Dose mit selbstgebackenen Keksen, bei deren Anblick ich beinahe ebenso misstrauisch wurde wie der Priester neben mir. Ich kannte diese alte Frau. Sie mischte mit Vorliebe ganz besondere Dinge in ihre Kekse hinein, und zwar waren dies höchst illegale, pflanzliche Zutaten.
    »Mary«, sagte Grant freundlich, aber entschlossen. »Es tut mir leid, aber wir müssen uns später unterhalten.«
    Die alte Frau schien ihn jedoch kaum zu hören. Sie starrte Vater Cribari an, als wäre er ein Ekzem. Dann trat sie einen Schritt vor, wodurch sie sich irgendwie zwischen Grant und den Priester manövrierte. Diese Bewegung war so geschmeidig, dass mir erst klar wurde, was sie getan hatte, als sie unmittelbar vor dem Priester stand und ihm in die Augen starrte. Sie hatte die Oberlippe hochgezogen, aber dies war kein Zähnefletschen. Es wirkte eher so, als wittere sie etwas in der Luft.
    »Sie sind erledigt«, fauchte sie plötzlich. »Sie haben aus Ihrer Seele eine Hure gemacht.«

    Vater Cribari zuckte zurück, als hätte sie ihn geohrfeigt. Grant nahm Marys Arm, konnte aber nicht verhindern, dass sie böse grinste und dann lachte.
    »Gabriels Hunde werden dich töten«, sagte sie und sah vom Priester zu mir herüber. »Schmor in der Hölle!«
    Vater Cribari keuchte erstickt. Grant stieß die Tür seines Büros auf und warf mir einen Blick zu. Ich schob den Priester in den Raum, aus Marys Blickfeld. Ich hörte Worte hinter mir, sehr leise Worte, dann humpelte Grant ins Büro und schloss die Tür hinter sich. Seine Wangen waren leicht gerötet, aber sein Blick schien gelassen.
    »Das hier ist kein Irrenhaus!«, stieß Vater Cribari hervor und zupfte an seinen

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