In Den Armen Der Finsternis
Manschetten. »Für Frauen wie sie gibt es Orte …«
»Es gibt keinen Ort für eine Person wie Mary«, unterbrach ihn Grant schnell. »Jedenfalls nicht auf dieser Welt.«
Was im wörtlichen Sinne der Wahrheit entsprach.
Zunächst sah es so aus, als wollte Vater Cribari weiter über dieses Thema streiten, doch dann zupfte er erneut an seinen Manschetten und presste die Lippen zu einer dünnen, harten Linie zusammen, bis sie fast vollkommen verschwanden. Jetzt ähnelte er einer Schlange.
Grant setzte sich nicht. Er lehnte seine Hüften an den Rand des Schreibtisches und stützte sich auf seinen Gehstock. Seine Knöchel waren noch immer weiß. Das Büro war klein und spartanisch möbliert. Von seiner Persönlichkeit war hier kaum etwas zu erkennen. Nur weiße Wände und ein Schreibtisch. Zwei gemütliche Sessel, eine Lampe, Notizbücher und Stifte sowie einige zerknitterte Papiere, die mit algebraischen Gleichungen übersät waren. Sowie ein dicker, aufgerissener Umschlag von FedEx.
Und ein gerahmtes Foto von uns. Wir lagen nebeneinander auf einem Floß, während der Ozean hinter uns rauschte und die Wolken in der Sonne silbrig schimmerten. Von mir als Erwachsener existierte kein anderes Foto, und damit war ich auch ganz glücklich.
Ich lehnte neben der Bürotür hinter Vater Cribari an der Wand und starrte auf den Hinterkopf des Priesters. Die Arme hatte ich vor der Brust verschränkt und streichelte sie nun verstohlen, während Zee und die anderen Jungs wie kleine Erdbeben auf meinem Körper grollten.
»Es hat einen Zwischenfall gegeben«, begann Vater Cribari ohne Umschweife. Er klang jetzt immer noch ruhig, trotz des Zuckens in seinem Gesicht und des Schweißes, der ihm über den Nacken lief, unmittelbar über dem Kragen seiner Windjacke.
Grant sagte nichts - und ich schwieg ebenfalls. Reden war nicht nötig, denn Schweigen konnte jemanden weit wirkungsvoller zum Plaudern bringen, als viele Fragen zu stellen. Und Vater Cribari war ganz gewiss nicht hergekommen, nur um herumzustehen und zu schwitzen.
Aber er brauchte eine Weile, bis er weitersprach. Sein Gesicht wirkte wie versteinert, so blass wie Marmor im Schatten - und der Schweiß hätte auch das Überbleibsel eines Winterregens sein können. Dieser Mann war eiskalt. So dicht bei ihm zu stehen und nichts zu tun, das war schwierig. Ich war eher an Aktionen gewohnt. Ein Zombie, Dämonen, Exorzismen. Wenn ich ein Problem sah, dann löste ich es. Normalerweise wartete ich nicht, außer vielleicht auf den richtigen Moment. Und man fand leicht die richtigen Momente, wenn man die Augen aufhielt und die verschiedenen Möglichkeiten abwog.
»Morde«, sagte Vater Cribari schließlich.
Einfach so. Eine Aussage. Morde. Keine Erklärung. Grant mahlte mit den Kiefern. »Wer waren die Opfer?«
»Drei Nonnen. Kurz hintereinander. Sie wurden gefoltert, bevor man ihnen die Kehlen durchschnitt.«
Grant ließ sich nichts anmerken. Er lehnte sich zurück, sein Blick zuckte zu der Stelle über Cribaris Kopf. Er musterte die Aura des Mannes.
Ich konnte auch Auren wahrnehmen, aber nur jene, die Dämonen ausstrahlten. Ich wünschte mir, jetzt sehen zu können, was Grant sah. Allerdings bezweifelte ich, dass ich diese Bürde ebenso elegant gemeistert hätte wie er.
Grant hatte ein Syndrom, eine Geisteskrankheit, die ihn von Geburt an beeinflusst hatte: Synästhesie. Jedes Geräusch, das er hörte, jedes Seufzen, Knarren und Zirpen übersetzte sich in Farben. Grant konnte Geräusche sehen .
Aber er konnte auch noch andere Dinge sehen. Energie zum Beispiel. Auren eben. Reflexionen der Seele, in Farben gefasst, Farben, die Bedeutungen hatten, die eine Sprache bildeten, die nur er entziffern konnte. Niemand konnte sich vor Grant verbergen. Masken bedeuteten gar nichts. Von ihm gesehen zu werden, das hieß, bis auf die Essenz seiner persönlichen Wahrheit entkleidet zu sein, ganz gleich wie verdammungswürdig oder wie gut sie auch sein mochte. Das hätte den meisten Leuten sicher nicht sonderlich gefallen. Die Seele sollte eigentlich Privatangelegenheit bleiben. Seelen, selbst die von Dämonen, sollten unverletzlich sein und weder von einem Menschen noch von irgendeiner anderen Kreatur verändert werden können.
Aber kein anderer Mensch und keine Kreatur war eben auch wie Grant. Niemand, den ich kannte, besaß die Fähigkeit, die Essenz eines lebenden Wesens zu verändern, und zwar schon durch ein Lied.
»Sie haben doch eigene Ermittler«, antwortete Grant.
»Gewiss«,
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