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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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bezweifelte.
    Jedenfalls hatten sie alle diesen Planeten nicht mit Hilfe der Weltraumfahrt erreicht, auch wenn sie durch den Raum gereist sein mochten. Allerdings durch einen ganz besonderen Raum.
    Das Labyrinth.
    Ich verstand es noch immer nicht, jedenfalls nicht ganz. Ich schaffte es nicht einmal, mir die Möglichkeiten vorzustellen.
Andere Welten, Schwellen zu anderen Realitäten. Ein Labyrinth aus interdimensionalen Autobahnen, die alle durch eine neutrale Zone miteinander verbunden waren, einer Kreuzung zwischen hier und dort, einem Ort voller Möglichkeiten, der eine Welt für sich war. Jedenfalls hatte man es mir so geschildert. Ich war allerdings nur durch ein Fragment gereist: in ein Gefängnis hinein, in das Seelen verbannt wurden, die dem Vergessen anheimfallen sollten. Ich war in der Ödnis gelandet, hatte die dunkle Seite des Labyrinths durchschritten.
    Ich hatte mich dort vergessen, hatte überhaupt alles vergessen. War lebendig begraben gewesen. Ein Herzschlag in der endlosen Finsternis.
    Laut Jack war ich die einzige Kreatur, die der Ödnis jemals entkommen war. Und auch wenn ich intellektuell zumindest wusste, dass dieses Labyrinth weit mehr war als ein dunkles, bodenloses Loch, konnte ich doch nicht umhin, bei dem einen sofort auch an das andere zu denken. Denn selbst wenn man auf die gute Seite des Labyrinths geriet, konnte man sich doch auf ewig darin verlieren. Man wanderte von seiner Welt in eine andere und dann in die nächste. Ein ewiger Fremder in einem unendlich fremden Land, verirrt im Labyrinth.
    So wie Mary sich hierherverirrt hatte, von einem fernen Ort, einer Welt, die von dieser weit entfernt war. Nur sie wusste, wie oder warum das geschehen war und woher sie kam. Aber ihr genügte es, hier zu sein. Grant nannte sie eine Alice, die durch ein Kaninchenloch geplumpst war. Wie in alten Märchen, in denen Frauen und Männer verborgene Hügel entdeckten oder magische Steine; oder einschliefen und beim Aufwachen feststellten, dass fünfhundert Jahre verstrichen waren. Im Labyrinth verging die Zeit jedoch anders. Alles war anders. Und nicht alles, was über seine Schwelle stolperte, war menschlich.

    Die Dämonen hatten sich des Labyrinths bedient, um von einer Welt zur anderen zu gelangen, immer und immer wieder. Dort ernteten sie dann menschliche Leben, die woanders Fuß gefasst hatten. Sie waren den Spuren des Fleisches gefolgt, bis sie vor zehntausend Jahren auf die Erde gelangt waren. Dieser Planet war dann zum Schauplatz des letzten Gefechts zwischen den Dämonen, den Avataren und den Menschen geworden. Und er würde es erneut werden, falls die Gefängnisschleier fielen. Wir alle waren hier ursprünglich Fremde gewesen, unsere Wurzeln und unser Blut waren von Welten durchtränkt, deren Existenz ich mir nicht einmal erträumen konnte.
    Ich hatte versucht, Mary nach den Zeichnungen auf ihrer Hand zu befragen, dann jedoch aufgegeben, als sie sich umdrehte, wie eine in die Jahre gekommene Ballerina auf ihren Zehen balancierte und anfing, Mary Poppins’ Lied Mit’nem Teelöffel Zucker zu singen. Ich überließ sie Rex’ Obhut, der sich um sie und das Marihuana kümmern würde. Meine Mutter drehte sich vermutlich in ihrem Grab um. Eine Jägerin, die mit einem Zombie zusammenarbeitete und ihm so sehr vertraute, dass sie ihn mit einem Menschen allein ließ. Das war so weit von allem entfernt, was man mich gelehrt hatte, dass ich mich selbst kaum noch wiedererkannte.
    Zudem hatte ich jetzt Freunde. Und einen Mann, den ich liebte. Ich lebte nicht mehr in meinem Wagen oder in Motels irgendwo in Nord- und Südamerika. Ich schlug Wurzeln, Tag für Tag, und achtete nicht auf meine Bedenken, dass ich vielleicht das Falsche tat.
    Denn solange ich hier war, in dieser Stadt, war ja niemand da draußen. Unterwegs. Auf dem Weg von Stadt zu Stadt, um die Menschheit zu retten, wie ein knallharter, dämonenvernichtender Verbrechensbekämpfer. Eine Eingreiftruppe, die
nur aus einem einzigen Mädchen bestand, wie ich mir immer gern sagte. Dabei spielte es auch keine Rolle, dass es die am wenigsten erfolgversprechende Methode gewesen war - jedenfalls im Nachhinein betrachtet -, wie ein kopfloses Huhn quer über zwei Kontinente zu hasten, um die Welt vor dem bevorstehenden Zusammenbruch des Gefängnisschleiers zu bewahren. Und ebenso wenig zählte, dass es nur eine wie mich gab und ich einen Giganten sozusagen nur am Zeh kratzen konnte. Immerhin hatte ich etwas unternommen, hatte etliche Leben gerettet und

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