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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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das nicht sagen. Mein hausgemachter oberflächlicher Realismus war im Augenblick jedenfalls das Letzte, was er brauchte. Sein Drang war beinahe schmerzhaft, und das bereitete auch mir Schmerzen, weil Grant ein guter Mann war. Und er war getrieben, von eben demselben Geist, der niemals etwas Schlimmes tun will. Aber wenn man die Integrität der Seele einer Person beeinflussen konnte, nur durch den Klang seiner Stimme …
    Tja.
    Ich schob meine Hand zwischen uns und streichelte seinen Schenkel. »Wie geht es deinem Bein?«
    Er sah mich ironisch an. »Lenk nicht ab. Wir müssen noch über eine gewisse Kugel sprechen.«
    »Die Kugel ist abgeprallt, in einem Gebäude gelandet - und nun Vergangenheit«, antwortete ich beiläufiger, als ich mich fühlte. »Und die Frage wegen deines Beines war ehrlich gemeint.«
    »Es tut auch ehrlich weh. Gebrochene Knochen heilen nie
richtig.« Er beugte sich vor und küsste mich leicht auf die Wange. »Ich brauche ein Heizkissen, Baby. Einen Gartenstuhl am Nordrand des Grand Canyon.«
    »Da schneit es vermutlich, weißt du?«
    »Und dich, nur mit deinen Tätowierungen bekleidet.«
    »Weil es dich so anmacht, die Dämonen auf meinen Brüsten zu betrachten?«
    »Und sonst - im Umkreis von mehreren Meilen - niemanden«, hauchte er und küsste mein Ohr, »niemanden in unserer Nähe.«
    Ich drehte den Kopf und küsste ihn auf den Mund. Wärme durchdrang mein Herz, floss bis in meine Zehen hinab. Seine Hitze wirkte wie ein Katalysator. Sie vermischte sich mit meiner, wurde zu etwas Neuem. Seine kräftigen Hände, die bereits unter meinem Pullover waren, rutschten ein Stück höher. Er begrüßte mich mit dem Daumen, einfach so, und mir blieb die Luft weg. Ich legte den Kopf in den Nacken und bog mich seiner Berührung entgegen, wobei mir sehr deutlich bewusst war, dass ich es nur dem Wohlwollen von Zee und den anderen zu verdanken hatte, dass ich überhaupt etwas empfand.
    Manchmal bekümmerte mich das. Ich war in meinem Leben niemals wirklich ungestört. Aber man konnte sich an alles gewöhnen, an fast alles.
    Ich wollte, dass Grant vergaß. Ich wollte selbst vergessen. Ich wünschte mir eine bessere Erinnerung als Kugeln und Zombies und tote Mädchen. Ich wollte frei sein und warm. Und menschlich.
    Ich strich mit den Lippen über seine Wange und tastete nach dem Reißverschluss seiner Jeans.

4
    I ch konnte nicht mit einem Flugzeug fliegen, das war ganz klar. Auf keinen Fall mit einer Linienmaschine und vermutlich nicht einmal mit einem Privatflugzeug. Flugzeuge bedeuteten eine schreckliche Gefahr. Kurze Flüge wären zwar möglicherweise noch machbar, aber lange Interkontinentalreisen, bei denen die Datumsgrenzen überflogen wurden, könnten leicht eine Katastrophe auslösen. Denn die Jungs wachten auf, wenn die Sonne unterging. Sie schälten sich von meinem Körper, hungrig und immer bereit, Ärger zu machen. Erfüllt vom Jagdfieber. Ganz einfach. Ganz gleich, wo wir waren oder wie gelegen es gerade kam.
    Außerdem hatte ich auch nicht genug Zeit, mir die erforderlichen Dokumente für eine Einreise nach China zu besorgen. Das stellte ich durch eine kurze Suche über Google fest. Ich besaß zwar einen Reisepass, aber kein Visum. Grant hatte in dieser Hinsicht mehr Glück, obwohl das eher fragwürdig war. Aufgrund irgendwelcher dubiosen Beziehungen von Vater Cribari zu seinem Kontaktmann in der chinesischen Botschaft sollte Grant sein Visum bereits in einigen Stunden bekommen und nicht erst in ein paar Tagen. Er würde am späten Vormittag nach Shanghai fliegen, was bedeutete, dass
ich nicht einmal einen Lidschlag Zeit hatte, eine Lösung zu finden.
    Die ich jedoch glücklicherweise bereits kannte. Vorausgesetzt, ich konnte ihn aufstöbern.
    Aber zuerst einmal musste ich mich um diese Kugel kümmern. Ich brauchte Antworten oder wenigstens eine Bestätigung. Woraufhin ich das Obdachlosenheim erst einmal gründlich nach einem Zombie durchsuchte.
    Im Untergeschoss fand ich Rex. Das Lagerhaus hatte lange vor seinem Umbau zum Obdachlosenheim als Möbelfabrik gedient. Die meisten alten Maschinen waren entsorgt worden, aber in den unteren Stockwerken, zu denen nur sehr wenige Leute Zutritt hatten, standen noch etliche mysteriöse und komplizierte eiserne Maschinen, deren Funktionen vermutlich nicht annährend so bemerkenswert gewesen waren, wie ich mir das gern ausmalte. Nämlich dass sich ein genialer Erfinder in diesem Betongrab eingenistet hätte und in wilden Anfällen ungezügelter

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