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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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als ich die Lobby betrat. Er saß auf einer Holzbank, allein, und stopfte einen Hotdog und Erdnüsse in sich hinein. Er trug einen braunen Anzug und ein zerknittertes blaues Hemd, das sich über seinem Schmerbauch spannte.
Seine Krawatte hatte er gelockert; sie war aus Seide und voller Ketchupflecken. Ihm gingen die Haare aus, und seine Brille war schmutzig. Sein Kinn ebenso. Er schlang das Essen förmlich herunter. Und biss so kräftig zu, dass es schon fast den Eindruck machte, als wollte er mit seinen Zähnen ein Stahlrohr zerteilen. In seinem Mund sammelte sich ein Brei aus Erdnüssen, den ich sehen konnte, weil er schon Essen nachstopfte, bevor er den vorherigen Bissen heruntergeschluckt hatte.
    »Also«, sagte ich zu Byron, während wir am anderen Ende der Lobby stehen blieben, »ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich freiwillig mit ihm unterhalten hast.«
    »Ich hing grade im Büro herum und hörte ihn reden. Er wollte die verantwortliche Frau sprechen, also hab ich mich angeboten, sie zu suchen.«
    »Und dabei hast du an mich gedacht?«
    Er zuckte mit den Schultern, während er den Fremden mit einem kalten, harten Blick musterte, der zu einem abgebrühten Kriegsveteran gepasst hätte, aber nicht zu einem Teenager. »Männer wie ihn, die kenn ich schon.«
    »Nicht mehr«, murmelte ich grimmig, schob mich an dem Jungen vorbei und durchquerte die Lobby.
    Ob es nun ein Perverser war oder nicht, der Mann wirkte massig und auch irgendwie schmierig, nicht nur wegen der Hotdog-Reste auf seinen Lippen. Irgendetwas Undefinierbares stimmte nicht an ihm, und der Anblick seines fahlen, aufgedunsenen Körpers beschwor unwillkürlich den Gedanken an Kakerlaken, an Millionen von Kakerlaken, die unter seiner prallen Haut umherschwärmten. Er betrachtete meine Füße, als ich mich ihm näherte, dann den Rest von mir, und seine kleinen blauen Augen zogen sich hinter den schmierigen Gläsern seiner Metallbrille zu kleinen Schlitzen zusammen.

    »Ah«, nuschelte er mit vollem Mund. »Mylady.«
    Er drückte sich überraschend vornehm aus. Ich legte den Kopf schief und sah ihm in die Augen. »Jemand sagte mir, dass Sie nach mir gesucht haben?«
    »Eine Ewigkeit schon«, antwortete er und wischte sich den Mund mit der Krawatte ab. »Und die Ewigkeit wurde zur Gegenwart. Entzückend, wie so etwas funktioniert, stimmt’s?«
    Zee regte sich zwischen meinen Brüsten, kämpfte in seinen Träumen. Ich zögerte. »Wer sind Sie?«
    »Sie können mich Mr. Koenig nennen. Mister Erl Koenig, wenn es Ihnen beliebt.« Der Mann stemmte sich von der Bank hoch, und Erdnussreste fielen zu Boden. Er hatte immer noch einen Ketchupfleck im Mundwinkel und reichte mir die Hand. Seine Handfläche wirkte fettig, klebrig und rot. Er roch nach Zwiebeln und Nüssen.
    Ich nahm seine Hand aber nicht. Sein Lächeln verstärkte sich, obwohl es etwas gezwungen wirkte und keine Zähne zeigte. Er ließ seine Hand noch einen Moment lang zwischen uns schweben, dann schob er sie in die Tasche. Pistole! , dachte ich, doch stattdessen holte er ein kleines Päckchen heraus, das er rasch öffnete und in dem sich ein Pizzastück befand. Es schien kalt zu sein, aber er biss trotzdem hinein: Rote Tomatensoße quoll wie Blut um seinen Mund.
    Mr. Koenig schloss die Augen und seufzte, während er kaute. Ich stand da und beobachtete ihn. Wartete. Ich wartete darauf, dass etwas zerbrach. Er schien bereit zu sein zu zerbrechen, obwohl er gar nichts Sprödes ausstrahlte. Er wirkte eher wie eine Ladung Dynamit, die von einem Damm gebändigt wurde. Und deren Lunte schon brannte.
    »Also«, nuschelte er schließlich mit dem Mund voller Pizza. »Das war höchst erfreulich.«

    Damit drehte er sich auf dem Absatz um und schlurfte in Richtung Ausgang davon, während sich ein Teil seines massigen Leibes scheinbar in andere Richtungen verschieben wollte, so als würden die Insekten, die ich mir immer noch in ihm vorstellte, um ihre Freiheit kämpfen. Ich starrte ihm nach und folgte ihm.
    Mr. Koenig war bereits draußen, als ich ihn einholte. Ich berührte ihn nicht, sondern ging neben ihm her die Treppe hinunter. »Sind Sie aus einem bestimmten Grund hergekommen?«, fragte ich.
    Er warf mir einen Seitenblick zu und stopfte sich das letzte Stück Pizza in den Mund. Das Kauen hinderte ihn nicht am Sprechen, was daraus eine feuchte, tomatenrote und höchst widerliche Angelegenheit machte. »Wollte nur sehen, wie die Dinge so stehen. Und mir in Erinnerung rufen, dass sich Welten verändern

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