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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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zufällig dort berührte, wusste ich nicht, aber die Wärme seiner Hand war tröstlich.
    »Du bist so dickköpfig«, meinte er. »Und wenn dir jetzt etwas passiert?«
    »Ich bin nicht so leicht zu töten«, erwiderte ich trocken. »Du dagegen bestehst ja nur aus Haut und Knochen. Ehrlich gesagt mache ich mir mehr Sorgen um dich.«
    »Ich muss dich wohl daran erinnern, dass ich ein erwachsener Mann und durchaus in der Lage bin, auf mich selbst aufzupassen.«
    »Das bist du, ja. Dazu bist du wirklich sehr gut in der Lage.«
    Er lächelte amüsiert. »Sag es doch bitte so, als würdest du es wirklich glauben.«
    »Ich meine es ja ernst«, antwortete ich. »Wenn dich einer dieser Pfaffen auch nur schief ansieht, wirst du ihn so lange ins Gebet nehmen, bis er Jesus sieht.«
    Grant lachte leise. »Zu Befehl, Ma’am.«
    Hinter uns öffnete sich mit einem leisen Knarren die Schlafzimmertür. Mary kam heraus, die Augen nach wie vor geschlossen. Sie ging auf den Zehen wie eine Tänzerin, und die Falten ihres formlosen Gewandes schlenkerten um ihre blassen, haarigen, sehnigen Beine herum. Sie öffnete die Augen nicht, aber ich glaubte, dass sie uns schon unter den Wimpern beobachtete, denn sie marschierte zielstrebig auf uns zu und blieb knapp eine Armlänge vor uns stehen.
    Dann streckte sie die Hände aus. Grant ergriff eine. Ich zögerte, folgte dann jedoch behutsam seinem Beispiel. Ich bemühte mich, sie sanft zu berühren. Als Heilerin war ich nicht sonderlich gut und hatte auch keine Gabe, etwas zu richten. Ich konnte nur zerfetzen. Jagen, um zu töten.
    Sie knurrte leise, und ihre Stimme drang undeutlich aus ihrer Brust, so tief und langsam wie durch zähen Sirup.
    »Grant«, murmelte sie. »Du wirst sterben.«
    Ich erstarrte. »Mary!«
    Mehr sagte die alte Frau jedoch nicht. Wir starrten sie an. Mir war speiübel, sterbensübel. Todesankündigungen waren zwar nichts Neues für mich, aber etwas an der Art, wie Mary diese Worte aussprach, erzeugte eine Wirkung, die sich weit schlimmer anfühlte als eine Prophezeiung, fast so, als läge eine tiefe Wahrheit in ihrem Wahnsinn, der Vorgeschmack eines Schicksals, das sich bereits zu erfüllen begonnen hatte. Nur dass ich es bisher nicht gemerkt hatte.

    »Ah«, erwiderte Grant gedämpft. »Auf diese Reise freue ich mich wirklich.«
     
    Ich brachte ihn zum Flughafen. SeaTac roch nach Benzin, abgestandener Luft und Verzweiflung, die in einem Betonbunker zusammengemischt worden waren. Ganz ähnlich wie der Geruch in einem Gefängnis.
    Ich blieb, bis er die Sicherheitskontrollen passiert hatte. Cribari hatte bereits einen anderen Flug genommen. Ich war froh, dass Grant nicht auch noch neben diesem Widerling sitzen musste, aber das war nur ein schwacher Trost.
    Es regnete, als ich den Flughafen wieder verließ. Die tiefhängenden grauen Wolken erinnerten mich an alte Socken. Ich fuhr mit offenem Fenster, Tina Turner röhrte im Radio. Mad Max . Der einsame Wolf mit nur einer einzigen Mission: zu überleben. Trotzdem gelang es ihm, ein Cop und ein guter Mensch zu bleiben, selbst noch mitten in der Apokalypse. Meine Mutter hatte mich gezwungen, diese Filme anzusehen. Sie hielt Mad Max für ein gutes Rollenmodell. Und ich konnte ihr da wirklich nicht widersprechen.
    Ich fuhr nicht zum Coop zurück. Ich musste nachdenken, aber wir hatten Mary in dem Loft zurückgelassen, und es gab keinen anderen Ort, wohin ich hätte gehen können. Der Ford Mustang war eine ebenso gute Heimstatt für mich wie jeder andere Platz: Zufluchtsort, Fortbewegungsmittel, Musik … Besser als die meisten üblichen vier Wände. Trotzdem fühlte ich mich einen Moment lang so einsam wie schon seit Jahren nicht mehr. Ich hatte Heimweh nach etwas, das ich nicht benennen konnte. In gewisser Weise hatte es sich ohne all diese Menschen in meinem Leben einfacher gelebt, denn daran hatte ich mich nach dem Tod meiner Mutter gewöhnt. Ich
hegte keinerlei Erwartungen. Und ich hatte den Unterschied ganz vergessen.
    Ich dachte an Grant, der jetzt allein im Flughafen hockte und sich auf den Weg machte, einem Mann zu helfen, der ihn hintergangen hatte. Ich umklammerte das Steuerrad so fest, dass Rohw und Aaz aus meinen Knöcheln zu springen schienen. Ich musste meine Handschuhe ausziehen. Das Leder fühlte sich so eng an, als würde ich durch meine Hände erdrückt werden.
    Tätowierungen glitzerten im matten Licht der Morgensonne. Ich krümmte die Finger und spürte das Reiben der eisernen Rüstung an meinem Ringfinger. Das

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