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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Besonderes, Fremdartiges verwandeln, während ich gleich blieb: eine Außenseiterin, unveränderlich, gefangen in der Zeit. Überall und immer eine Fremde.

    Neben mir stand ein großer kahlköpfiger Mann mit Sonnenbrille, einem Ohrring und einem weißen MSU-Sweatshirt. Er hatte einen kleinen Jungen auf dem Arm und in der freien Hand eine Kamera. Als er bemerkte, dass ich in seine Richtung blickte, deutete er auf das gigantische Schwein, auf das andere Eltern bereits ihre kreischenden Kinder gepflanzt hatten. »Würde es Ihnen etwas ausmachen …?«
    Zee grollte drohend auf meiner Haut. Ich hätte fast nein gesagt, während ich mich fragte, was dieser Mann wohl sagen würde, wenn er von den Dämonen wüsste, die auf meiner Haut schliefen. Aber das Kind auf seinem Arm sah mich mit großen blauen Augen an - und für so etwas war ich empfänglich. Ich nahm die Kamera und machte ein paar Schnappschüsse von ihnen. Noch so ein surrealer Augenblick, als ich durch die Linse auf die beiden lächelnden Gesichter blickte: das Baby, das fröhlich auf dem Arm herumhüpfte, und der Vater, der hinter seinem Kopf ein paar Hasenohren machte.
    Ich fragte mich, wie lange die beiden wohl überleben würden, wenn der Gefängnisschleier fiel.
    Ich gab dem Mann die Kamera zurück und winkte dem Kleinen zu, der weiterhin auf dem Schwein ritt, dem er mit seiner kleinen, pummeligen Hand auf den Kopf schlug und entzückt lachte. Es muss doch einen Weg geben, das zu verhindern, dachte ich. Du musst ihn finden. Es kann einfach nicht so hoffnungslos sein.
    Irgendwie. Ich hatte mich mein Leben lang auf eine einzige Sache konzentriert: Finde den Dämon. Töte den Dämon. Daran war nichts Subtiles, und es erforderte auch keine große Strategie. Zee und die anderen erledigten die Drecksarbeit.
    Das konnte nicht so weitergehen, mittlerweile stand doch noch mehr auf dem Spiel. Ich musste gerissener sein, schneller.
Wenn ich nicht vorsichtig war, würde die Welt untergehen, während ich in einem warmen Bett neben einem warmen Mann schlief und so tat, als wäre ich ein gewöhnliches Mädchen, auf dessen Haut eben Dämonen lebten. Meine Mutter wäre vor Scham gestorben. Ihre Tochter, die Wölfin, hatte sich in eine Hauskatze verwandelt.
    Es ist nicht nur der Luxus, der dich zähmt, sagte ich mir. Du hast auch Angst vor den Alternativen. Du fürchtest das, was aus dir wird, wenn du das tust, was du tun musst. Du hast Angst vor der Dunkelheit, die so leicht in deinem Herzen schlummert. Du hast mehr Angst vor dir selbst als vor dem Ende der Welt.
    Das stimmte. Aber ich hatte nicht einfach nur Angst vor den Möglichkeiten. Ich war sogar vollkommen beherrscht von der Angst darüber.
    Auf dem Weg zurück zum Wagen kaufte ich mir in einem Starbucks einen Becher heiße Schokolade. Ich setzte mich für eine Weile lang auf eine feuchte Bank, die zwischen Holzfässern mit hübschen Farnen stand und ignorierte den Nieselregen, der in silbernen Schleiern vom Himmel fiel. Die Jungs saugten das Wasser auf, das durch den Hosenboden meiner Jeans und meinen Pullover sickerte - ein bisschen Regen auf meinem Gesicht hatte mich noch nie gestört. Es fühlte sich gut und sauber an. Regen war etwas, das sich niemals veränderte. Regen gehörte zu dieser Welt, unabhängig von den Menschen oder von mir selbst. Er besaß eine andere Form der Unsterblichkeit, eine Art Alterslosigkeit, die selbst die der Jungs noch übertraf, deren Langlebigkeit ausschließlich von meiner Blutlinie abhing.
    Eines Tages würde der Feind Glück haben, ob zu meiner Lebenszeit oder in einer der nächsten. Ich fragte mich, ob meine Mutter wohl auch solche gefährlichen Momente erlebt hatte. Ich hätte die Jungs ja fragen können, nur redeten Zee und die
anderen nicht viel über ihre früheren Wirte. Die Erinnerungen schmerzten sie.
    Das konnte ich nachfühlen. Ich dachte an meine Mutter, als ich ein vertrautes MSU-Sweatshirt aus dem Augenwinkel wahrnahm. Ich brauchte einen Moment, bis ich es registrierte.
    Das war aber genau ein Moment zu lange. Die Schatten sammelten sich, ich war umzingelt. Hände hoben mich hoch; ich kämpfte, schrie, hörte das Aufheulen eines Motors. Die Jungs dröhnten auf meiner Haut.
    Zu spät. Ich reagierte zu spät, wie immer.

6
    E inmal, in einer Nacht in einem billigen Motel in Lubbock, Texas, hatte ich in den Nachrichten gesehen, was man tun sollte, falls man jemals in die Verlegenheit kam, in den Kofferraum eines Wagen gesteckt zu werden.
    Damals waren die Leute alle

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