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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Metall verwandelte sich wie ein Chamäleon. Vor dem Morgengrauen war es so hell wie ein Spiegel gewesen, silberfarben, scharf und klar. Jetzt jedoch schien es eher dunkel angelaufen und hatte die Farbe meiner Haut angenommen. Schuppen und Rosen waren darin eingeätzt, deren Muster denen der Jungs glichen - oder auch den Linien eines Labyrinths. Die Rüstung schien das Licht in sich aufzusaugen und vermischte sich mit meinen Tätowierungen, bis man kaum noch sehen konnte, wo das eine begann und wo das andere aufhörte. Ich hätte fast so tun können, als gäbe es diese Rüstung gar nicht, so leicht saß sie an meinem Finger, wie ein Kokon, der durch die Jungs durchsickerte, als hätte das Metall Wurzeln aus Seide und Feuer in meine Knochen geschickt.
    Manchmal, in Augenblicken wie diesem, fragte ich mich, ob diese Rüstung mein Finger war, ob sie sich vielleicht weiterentwickelt hatte, ohne dass ich es bemerkt hatte, und ob ich gar allmählich zu einem archaischen, mittelalterlichen Cyborg mutierte. Ich hatte mit allen möglichen Sägen versucht, das verdammte Ding vom Finger zu bekommen, aber keine hatte das geschafft. Man hatte mir gesagt, dass der Ring erst bei meinem
Tod von meinem Finger gleiten würde, und jetzt glaubte ich es auch. Noch ein Vermächtnis. Ein weiteres Mysterium. Ein Objekt, das zwar die Wünsche seines Besitzers erfüllte, allerdings zu einem gewissen Preis.
    Die Rüstung war einmal viel kleiner gewesen, nur so groß wie ein Ring.
    Der Regen hatte aufgehört, die Straßen waren glitschig. Ich fuhr ins Zentrum von Seattle bis zum Pike Place Market. Ich hatte mich nicht ganz freiwillig dafür entschieden. Gegenden, in denen der Gefängnisschleier besonders dünn war, zogen mich an - und der Markt, in der Zange zwischen Land und Meer, war die dünnste Stelle von allen. Hier brachen alle möglichen Kreaturen aus, aber nur aus dem ersten Kreis des Schleiers, in dem die Ratten und Kakerlaken der dämonischen Spezies hausten, die Zombie-Macher, die aufgrund der Abwesenheit ihrer weit stärkeren Schwestern und Brüder an die Spitze der Nahrungskette gekrochen waren. Wenn das Gefängnis schließlich ganz zusammenbrach, wenn ihre mächtigeren Geschwister, die in den äußeren Ringen weggesperrt waren, freikamen, dann würden diese perversen Parasiten ebenso leiden wie Menschen. Nicht dass sie mir deshalb leidgetan hätten.
    Ich parkte den Mustang auf der nördlichen Seite des Pike Place Market und ging spazieren, mischte mich unter die Menge, suchte nach dunklen Auren, fand auf den belebten, gepflasterten Wegen jedoch nichts als Menschen, die sich für den Winter hier im Nordwesten angezogen hatten, um die unberechenbaren Regengüsse abzuwehren - mit Fleecejacken, Jeans, diesen hässlichen Gesundheitssandalen, Wollsocken. Dazu trugen sie noch Schirme und Kapuzen und Baseballcaps. Die Mienen waren grimmig und müde, während sich Sturmwolken über ihren Köpfen zusammenballten. Niemand wirkte sonderlich
glücklich. Andererseits war das hier eben Seattle. Eine mürrische Miene gehörte da praktisch zur Garderobe.
    Ich musste andauernd an Mister Koenig denken. Ich erinnerte mich sehr gut an seine Stimme, das feuchte Schmatzen, den vollen Mund, und dann gingen mir plötzlich auch Byrons Worte im Kopf herum.
    Männer wie er wollen immer irgendwas. Einige brauchen nur etwas länger, bis sie es ausspucken.
    Man hatte auf mich geschossen, und ich wäre beinahe getötet worden. Grant war sehr wahrscheinlich auf dem Weg in eine Falle - und der Priester, der ihn dazu aufgefordert hatte, hatte mich mit einem ausgesuchten, einzigartigen Namen angesprochen. Und dann war da noch dieser schweinsäugige kleine Mann, der auf einen Besuch vorbeigekommen war, um zu sehen, wie die Dinge so standen.
    All diese einzelnen Teile gehörten zusammen, das spürte ich im Bauch, aber es war so, als hätte man eine Kiste mit Fingern vor sich und wüsste nicht, an welchen Teil der Hand man sie anfügen sollte.
    Ich befand mich auf der Südseite des Marktes, ganz in der Nähe der großen Schweinestatue, deren Namen ich vergessen hatte. Ich wusste nur, dass Zee und die Jungs das verdammte Ding unbedingt fressen wollten. Ein Meer von Touristen umringte mich, dazwischen standen einige Einheimische. Alle kümmerten sich um ihre eigenen Angelegenheiten. Autos, Läden, Geschnatter. Ich beobachtete das alles und kam mir plötzlich wie die einzige normale Person in einer surrealistischen Landschaft vor: als würde sich die Welt wabernd in etwas

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