In Den Armen Der Finsternis
jedem Atemzug zu ihm hingezogen fühlte und die Wunden in meiner Seele heilten.
Und trotzdem war ich seiner Macht gegenüber immun. Zee und die Jungs ebenfalls. Bis jetzt hatte ich jedoch noch niemanden getroffen, der ihm hätte widerstehen können. Dämonen konnten Besitz von jemandem ergreifen und ihn überwältigen, aber sie vermochten weder die menschliche Seele noch das Gewissen zu beeinflussen. Die wurden einfach zugeschüttet. Grant dagegen kannte solche Begrenzungen nicht. Er konnte die Farben des Geistes neu zusammenstellen, um etwas Neues zu schaffen.
Was er auch regelmäßig tat, in kleinen Schritten. Er heilte gebrochene Herzen und schloss mentale Risse. Es waren kleine, aber gründliche Taten, durch die er die Menschen, die er anschließend wegschickte, gewissermaßen besser machte, fähiger - und mit mehr Hoffnung ausrüstete.
Meine Mutter, meine Großmutter … jede Frau meiner Blutlinie hätte ihn für die Dinge, die er vermochte, getötet. Für das, wozu er Dämonen und Menschen bringen konnte. Er verfügte über ein sehr gefährliches Potenzial, eines, das furchteinflößend war.
Aber es schien mir dennoch nicht schlimmer als mein eigenes.
Mary war bei Grant. Sie saß mit geschlossenen Augen stocksteif auf dem Rand des Bettes und hatte die Beine sittsam übereinandergeschlagen. Die Hände ruhten in ihrem Schoß. Ich konnte ihre Handflächen nicht sehen. Grant saß ihr gegenüber, nahe der Tür - und er drückte seine goldene Querflöte, die Muramatsu, an die Lippen. Er nickte, als er mich sah, und einen Moment später verklang die Melodie. Mary rührte sich nicht, und ich musste ganz genau hinsehen, um zu erkennen, ob sie atmete.
Grant schob die Flöte in den Kasten, der an einer Schlinge auf seinem Rücken hing: es war eine Bewegung, wie wenn man ein Schwert in die Scheide schob, ehrfürchtig und mit angemessenem Ernst. Er war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ich hatte diese krankhafte Erschöpfung schon häufig auf seinem Gesicht gesehen. Er behauptete zwar immer, dass es ihn nicht auslaugte, seine Gabe anzuwenden, aber ich hatte doch das Gefühl, dass er damit die Wahrheit ein wenig aufpolierte.
Er nahm den Gehstock und humpelte aus dem Zimmer. Mary blieb, wo sie war, so unbeweglich, als befände sie sich in Trance. Ich schloss die Tür hinter uns.
»Hat sie dir ihre Hand gezeigt?«, erkundigte ich mich.
Grant rieb sich den Hals. »Ich habe im Keller nach dir gesucht. Sie konnte sich kaum beherrschen.«
»Hat sie die Halskette deiner Mutter vorher schon einmal gesehen?«
»Nein.« Er lächelte grimmig. »Es ist ja seltsam, wie das alles so funktioniert.«
Sehr witzig. Ich könnte mich totlachen. »Hat sie dir eine Erklärung gegeben?«
»Sie hat das Labyrinth erwähnt.« Grant humpelte zum
Schlafzimmer. Ich sah durch die offene Tür den kleinen Reisekoffer auf dem Bett liegen. Ich folgte ihm, beobachtete, wie die Knöchel der Hand, mit der er den Gehstock umklammerte, weiß wurden und hörte auf das harte Klopfen von Holz auf Holz, das aber irgendwie lauter klang als sonst. »Sie hat angefangen zu weinen. Deshalb habe ich sie auch hierhergebracht. Ich wollte versuchen, sie so weit zu beruhigen, dass sie reden kann. Bis jetzt allerdings vergeblich.«
Grant war vor dem Bett stehen geblieben und sah auf den Koffer herunter, als wäre er eine lebendige Schlange. »Du kannst deine Meinung immer noch ändern«, sagte ich.
»Ich muss das tun«, erwiderte er düster.
»Nicht einfach nur wegen Ross, stimmt’s?«
Er sah mich an. »Ich habe die Kirche im Zorn verlassen. Ich wurde gewaltsam ausgeschlossen. Ich war keineswegs bereit dafür. Ich habe an meine Berufung geglaubt. Es war, als hätte man jemanden geheiratet, den man von ganzem Herzen liebt, und eines Morgens wacht man auf und sieht, dass er einen mustert, als wäre man ein Stück Dreck, das ekelhafteste Wesen, das jemals unter einem Stein herausgekrochen ist. Es hat mich fast zerstört, doch schließlich habe ich mich erholt. Aber als ich jetzt Cribari wiedersah und das von Ross hörte …«
Ich zog meine Handschuhe aus und nahm seine Hand. »Du hast wohl noch einige Rechnungen offen, Mann.«
»Ein paar schon«, erwiderte er ironisch, drehte meine Handfläche nach oben und blickte auf die glitzernden Adern organischen Metalls, die sich durch die Schuppen und flachen Krallen meiner Tätowierungen wanden. Rote Augen funkelten auf meiner Haut, starrten Grant an, und ein schwaches, erfreutes Schnurren wallte über meine
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