In Den Armen Der Finsternis
aufgescheucht. Ein scheußliches Verbrechen in einer dreißig Meilen südlich liegenden Stadt hatte sie aufgeschreckt. Man hatte dort in einem Teich vier Fahrzeuge gefunden, in deren Kofferräumen jeweils ein totes Mädchen gelegen hatte. Den Zeitungsartikeln zufolge waren die Mädchen noch am Leben gewesen, als das Wasser hereingesickert war.
Der Sicherheitsexperte, den man für den Bericht interviewt hatte, war ein pummeliger Weißer mit silbergrauem Haar, einer flachen Nase und fleischigen Wangen, die jedes Mal wackelten, wenn er einen Vokal aussprach. Brecht die Rücklichter heraus, brummte er, und sucht den Verschlusshebel. Noch besser wäre es allerdings, wachsam zu sein. Lasst euch nicht schnappen, und wehrt euch aus Leibeskräften.
Guter Ratschlag. Das Problem war nur, dass man dabei vor Angst erstarrte. Man wurde überrumpelt und reagierte völlig unerwartet. Daran hätte ich denken sollen.
Was ich vielleicht auch getan hätte, wenn ich nicht jetzt, vier Jahre später, an diese ermordeten Mädchen gedacht hätte und komischerweise unglaublich wütend wurde. Vor allem wütend auf mich selbst, während ich in einem kleinen, dunklen Raum herumrollte, mit Händen und Armen, die so fest verschnürt waren, dass es weh tat, und ein Klebeband über dem Mund.
Allerdings befand ich mich nicht im Kofferraum eines Wagens, sondern in einer Kiste. Einer Kiste, die einmal ein Sarg gewesen war, den man inzwischen jedoch vollkommen ausgeschlachtet hatte. Es war nur das blanke Holz übrig gelassen worden, keine Seidenpolsterung. Aber es lag auch außer mir niemand darin. Es war heiß und stickig, und meine Nase fühlte sich verstopft an.
Der Sarg rutschte im Stauraum eines fensterlosen weißen Lieferwagens herum, auf den ich noch einen Blick hatte werfen können, bevor man mich wie einen Laib Brot hineingeschoben hatte. Ich war zwar ein kräftiges Mädchen, kräftiger als die meisten Männer. Aber ich hatte meine Chance, mich zu wehren, in den ersten beiden Sekunden des Angriffs verspielt. Das war mein Fehler gewesen. Ich hatte meine wichtigste Regel vergessen: Erwarte das Unerwartete. Und was die Sache noch schlimmer machte: Diese Männer waren Profis, und mit solchen hatte ich nicht oft zu tun gehabt. Sie gingen ruhig und schnell zu Werke und wussten offenbar sehr genau, was ich war. Sie hatten weder Messer noch irgendwelche anderen Waffen benutzt und auch nicht versucht, mir mit etwas auf den Kopf zu schlagen oder mich mit Drogen ruhig zu stellen. Sie hatten nur die rohe Kraft genutzt, nichts anderes.
Darüber dachte ich nach, als ich in diesem Sarg lag. Ich dachte an die vier Mädchen in Texas, und daran, wie die Entführung das Ende ihrer Welt bedeutet hatte, dasselbe Ende,
dem sich andere jeden Tag stellen mussten. Und diese müssten noch viel mehr erleiden - auf eine ganz andere Art und Weise: nämlich sobald der Schleier fiel. Wieder dachte ich an den Zombie, der diese Mädchen getötet hatte, und auch an den Ausdruck auf seinem Gesicht, als ich ihm den Dämon austrieb, der in seiner Seele hauste. Ich hatte ihn wieder zu einem Menschen gemacht.
Er wurde vierundzwanzig Stunden später verhaftet und in einem Schnellverfahren zum Tode verurteilt - für vier Morde, an die er sich kaum erinnern konnte. Das war die schnellste Exekution in der Geschichte von Texas. Und bis zu seinem Todestag beteuerte er seine Unschuld. Er behauptete, dass ihn jemand hereingelegt hätte.
Ich verstand, wie er sich gefühlt haben musste.
Ich verbrachte eine lange Zeit in diesem Sarg und spürte, wie sich der Tag dem Ende näherte, so als fühlte ich die Bewegung der Sonne in meinem Blut.
Kurz vor Sonnenuntergang hielt der Lieferwagen an. Ich hörte zwar keine Stimmen, aber in der Nähe wurde eine Schiebetür geöffnet. Der Sarg wackelte, dann wurde er hoch und runter geschleudert und in alle möglichen Richtungen geschwenkt, bis es sich so anfühlte, als steckte ich in einem Wäschetrockner. Ich schlug Purzelbäume, schwebte in der Luft, polterte herum. Mein Magen stieg mir bis in den Hals.
Eigentlich hätte ich mich dabei am Kopf verletzen müssen, aber schon beim ersten Stoß glitten die Jungs über mein Gesicht. Es war ein Gefühl, als würde ich unter heißes Wasser gedrückt werden: Alle fünf glitten über meine Wangen und meine Stirn, über die Augen und meinen Mund. Sie waren auf
alles vorbereitet, stinksauer und konnten den Sonnenuntergang kaum erwarten.
Schließlich wurde der Sarg auf den Boden geworfen. Er krachte
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