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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Einer meiner Vorfahren hatte eine Weile bei einem Meister der Akupunktur studiert. Selbst dreihundert Jahre später konnten sich die Jungs noch an einiges davon erinnern.
    Rohw und Aaz sprangen auf meinen Schoß und saugten bereits an ihren Krallen. Sie schnurrten, und ich roch das Popcorn in ihrem Atem. Sie waren wie Babys. Ich rieb ihre heißen, runden Bäuche. Zee hockte am Eingang des Zeltes und starrte in die kalte Nacht hinaus. Das Mondlicht schimmerte auf den silbernen Schuppen seiner stumpfen kleinen Nase.
    Jack musterte ich ungeniert. Der Mann musste schon über achtzig Jahre alt sein, wirkte aber viel jünger. Er war schlank
und kräftig, hatte silbergraues Haar und ein markantes Gesicht. Er sah wie ein klassischer Filmstar aus. Jack Meddle war ein angesehener Archäologe und Abenteurer, ein würdevoller Mann mit Geheimnissen. Nicht ganz menschlichen Geheimnissen allerdings.
    Er trug eine Khakihose und einen verschlissenen Marinemantel, darunter ein blassblaues Jeanshemd, das zur Farbe seiner Augen passte. Über die Brust hatte er einen fleckigen Kurierbeutel geschlungen, der so aussah, als stammte er noch aus der russischen Revolution.
    »Wie hast du mich gefunden?«, fragte ich ruhig. »Und weshalb ausgerechnet jetzt?«
    Jacks Augen glitzerten selbst in der Dunkelheit des Zeltes. Es waren menschliche Augen, hinter denen eine unmenschliche Seele wohnte. »Das war ganz leicht, Liebes. Ich habe dich gespürt. Ich habe … es gespürt. Also bin ich gekommen.«
    Es . Das in mir. Ich schloss die Augen und senkte den Kopf, als Dek eine besonders empfindliche Stelle passierte. »Ich hätte dich früher gebraucht, vor Monaten schon. Aber du bist spurlos verschwunden, ohne ein Wort zu sagen. Nicht einmal die Jungs konnten dich aufspüren. Ich habe … Ich habe mir Sorgen gemacht.«
    Das war eine ungeheure Untertreibung. Ich war fast wahnsinnig vor Angst gewesen. Zum ersten Mal seit dem Tod meiner Mutter hatte ich eine Familie, was zugleich eine unmögliche, eine wundersame Entdeckung bedeutete - und dann war Jack einfach verschwunden. Meine Mutter war ermordet worden. Ich hatte die Möglichkeit nicht ausschließen können, dass meinen Großvater dasselbe Schicksal ereilt hatte.
    Und obwohl er jetzt vor mir saß, vermochte ich mich nicht zu entspannen.

    »Ich hatte zu tun«, erwiderte Jack. »Angelegenheiten, die ich persönlich erledigen musste. Zum Beispiel: die Schweinerei aufräumen, die Ahsen in der kurzen Zeit, in der sie frei herumlief, angerichtet hatte.«
    »Ich hätte dir helfen können.«
    Der alte Mann zögerte und sah auf Zee herab, der ihn ebenfalls beobachtete. Die roten Augen des kleinen Dämons glühten schwach. »Sicher. Aber das wollte ich lieber alleine tun.«
    Ich zwang mich zum Atmen. Und die Luft, die ich ausstieß, bildete weiße Wölkchen. Im selben Moment nahm ich die Kälte wieder wahr. Ich fror doch. Zee streckte seine Klaue aus und strich mit seinen Knöcheln über meine Stirn, während er mir in die Augen blickte. »Schwere Träume, Maxine.«
    »Seltsame Tage«, erwiderte ich und drückte sanft seine kleine Hand. »Du musst etwas für mich tun, wenn du kannst. Suche Grant, wo immer er auch sein mag. Sollte er im Flugzeug sitzen, musst du aufpassen.«
    Zee nickte und kratzte seinen knochigen Rücken. »Irgendwelche Worte?«
    »Warne ihn vor Cribari. Sag ihm, er soll sich von ihm fernhalten.«
    »Ein scharfer Mann«, erwiderte der kleine Dämon, während er die anderen anblickte, die ihn mit ihren roten, glitzernden Augen beobachteten. »Ein toter Mann.«
    »Noch ist er nicht tot«, warnte ich ihn. »Zuerst Grant. Finde ihn.«
    »Erledigt«, flüsterte Zee und verschwand im Schatten. Mein Herz folgte ihm. Ich konnte nicht vorhersagen, was passieren würde, sobald Cribari begriff, dass ich noch am Leben war. Aber was auch immer er vorhaben mochte, es konnte nichts Gutes sein.

    Jack versuchte sich aufzusetzen. »Grant. Er sitzt in einem Flugzeug?«
    »Er fliegt nach China. In eine Falle.«
    »Und du hast ihn gehen lassen?«
    »Ich hatte einen Plan«, antwortete ich heiser. »Sucher.«
    Nur seinen Namen auszusprechen fiel mir schon schwer. Sucher. Das war ein Mann, der vor fünftausend Jahren von einem meiner Vorfahren hintergangen worden war und jetzt als Sklave dem Dämon Oturu diente, einem Dämon, der meiner Blutlinie auf ewig Loyalität geschworen hatte. Beide waren schon vor Monaten verschwunden, genauso spurlos wie Jack. Aber Sucher besaß die Fähigkeit, den Raum zu durchqueren, so

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