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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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über meine Schulter zurück, konnte Jack jedoch nicht sehen. Bis auf das leichte Schimmern des Mondes gab es gar kein Licht. In seinem Schein erkannte ich die Speichen eines zerbrochenen, gefährlich geneigten Riesenrades und eines baufälligen Karussells, das aber über keinerlei Pferde mehr verfügte, sondern nur noch aus zerbrochenen Spiegeln und gesplittertem Holz bestand. Zelte lagen zusammengefallen im Schmutz, und die Tür eines eisernen Käfigs stand offen. Daneben lagen die Reste einer Kiste, auf deren Seite ein Clownsgesicht gemalt war, das über beide Backen grinste. Es fühlte sich an, als befände ich mich im Leichnam eines Zirkus.
    »Sucht ihn«, befahl ich den Jungs. Mein Hals war wund. »Sofort.«
    Zee schnippte mit seinen Krallen. Rohw und Aaz verschwanden in den Schatten, während sich Dek und Mal aus meinem Haar schlängelten und mit ihren Zungen Witterung aufnahmen. Ich kraulte ihre Köpfe, dankbar über die Wärme ihrer Körper, und machte mich stolpernd mit ihnen auf den Weg durch den Schnee, wobei ich das Messerhalfter und die Jacke meiner Mutter überzog. Zee sprang vor mir her.
    In der Nähe der verfallenen Reste eines alten Zirkuswagens, der keine Räder mehr hatte und dessen Seiten von Schusslöchern durchsiebt waren, hörte ich ein Geräusch, als würde sich jemand erbrechen. Ich rannte los.
    Jack kniete im Schnee. Das Blut schoss mir in den Kopf und rauschte in meinen Ohren. Atemlos kam ich neben ihm zum Stehen. Rohw und Aaz waren bereits bei ihm und beobachteten Jack von ihrem Standort unter dem Wagen aus. Irgendwie hatten
sie unterwegs noch Zeit gehabt, einen Abstecher in einen anderen Teil der Welt zu machen, um sich eine Tüte Popcorn und zwei Yankee-Baseballcaps zu besorgen, die sie im gleichen Winkel auf ihren Köpfen trugen. Sie waren echte Punks.
    »Alter Wolf«, flüsterte ich und trat hinter den Mann. Ich schlug meine Arme um seine Brust und zog ihn an mich, wollte ihn wärmen, ihn halten, mich versichern, dass er noch lebte. Dass er lebte und bei mir war.
    Meine Hand streifte die Seite seines Gesichts, und ich ließ sie auf seiner Wange liegen. »Du glühst ja.«
    Er wollte meine Hand wegschieben, beugte sich dann jedoch vor und übergab sich.
    »Das hat nichts zu bedeuten«, stieß er Sekunden später hervor. »Ich bin nur nicht… sonderlich dafür geeignet, den Raum zu durcheilen. Genau genommen liegt mir diese Art des Reisens so wenig, dass es mir leichter fällt, so zu tun, als gäbe es sie gar nicht.«
    »Gut und schön.« Ich schnippte mit den Fingern nach Zee, der Rohw und Aaz einen giftigen Blick zuwarf, bevor er im Schatten verschwand. »Ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass du überhaupt dazu befähigt bist, das zu tun, was du da getan hast. Aber wenn du dich schon unbedingt übergeben musst, hättest du uns vorher zu deiner Wohnung bringen sollen.«
    »Das wäre aber keine gute Idee gewesen.« Jack ließ sich auf die Seite in den Schnee fallen, und ich sank mit ihm herunter, während ich versuchte, seinen Körper vor der kalten Luft zu schützen. Er nahm meine Hand und legte sie auf seine Brust. Ich barg mein Gesicht kurz an seiner Schulter und genoss das harte, schnelle Pochen seines gestohlenen menschlichen Herzens.
    »Ich werde gesucht, Liebes«, sagte mein Großvater ruhig. »Und ich fürchte, ihr - du und Grant - ebenfalls.«

     
    Zee kam mit einem Zelt zurück. Angesichts der Schlafsäcke und der Reizunterwäsche, die ich vorfand, als ich einen Blick hineinwarf, beschlich mich das Gefühl, dass es noch vor kurzem benutzt worden war. Ich warf einen Blick zurück auf den kleinen Dämon. Der zuckte nur mit den Schultern.
    »Haben sie in einem Auto zurückgelassen«, schnarrte er.
    »Wie edelmütig von dir«, murmelte Jack und kroch in das Zelt, in dem es nur wenige Grad wärmer war als draußen. Dann ließ er sich mit einem Seufzer auf die Seite fallen und schleuderte die Reizunterwäsche nach einem ebenso neugierigen wie angewiderten Blick zur Seite. »Und wie gut, dass wir auch noch diese Schleuder hier haben, mit der wir uns ein Abendessen erjagen können.«
    »Allerdings«, meinte ich trocken. »Ich geh jetzt los und erlege uns einen Hirsch damit.«
    Jack rollte sich auf den Rücken. Ich lag auf dem anderen Schlafsack und spürte, wie sich ein Kopfschmerz meldete, der von meinem Nacken langsam nach oben bis zu meinem Scheitel kroch. Dek und Mal schlängelten sich durch mein Haar und pressten ihre kurzen Krallen gegen meinen Kopf, wie kleine Masseure.

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