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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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wie die Jungs auch.
    Nur dass er mich mitnehmen konnte. Und genau das benötigte ich jetzt. Außerdem war Oturu schon einmal von meiner Bedürftigkeit herbeigerufen worden. Ich hatte gehofft, er würde erneut kommen und Sucher mitbringen.
    Dafür hatte ich jetzt Jack, was auch immer mir das nützen mochte. Das Zelt war sehr klein. Der alte Mann brauchte nur die Hand auszustrecken, um mich zu berühren, und ich ließ es zu. Er schob mir mit den Fingern das Haar zurück, strich mit seiner warmen, trockenen Hand über meine Haut. Dann starrte er die Narbe hinter meinem Ohr an.
    »Ein schlechter Plan«, flüsterte er.
    Meine Wangen wurden heiß, ich schob seine Hand weg. »Wer ist hinter dir her?«
    »Einer von meiner eigenen Spezies.« Jack ballte seine Hand und sein Blick war viel zu hitzig, als dass ich ihn hätte trösten können. »Wir werden beide von derselben Kreatur verfolgt, Liebes.«
    Derselbe Jäger. Ein Avatar.

    Franco. Seine Augen.
    Die Puzzlestücke fügten sich zusammen und erzeugten neue Möglichkeiten. Zuerst hatte ich angenommen, Franco wäre vielleicht ein Reisender aus dem Labyrinth. Schließlich waren die Dämonen von anderen Welten auf die Erde gekommen, so wie Mary und Gott weiß wer noch.
    Aber Franco hatte ein perfektes amerikanisches Englisch gesprochen, mit einem leichten Südstaatenakzent. Hätte ich ihn am Telefon gehört, ich hätte ihn für einen ganz normalen Mann gehalten, jemanden, der gern zu Footballspielen ging und mit seinem Kumpel ein Bier an der Bar trank. Wenn ich seine Augen einen Moment lang vergessen könnte, dann hätte ich gesagt, er wäre ganz ohne jeden Zweifel ein Mensch.
    Ich redete mir ein, dass Franco von der Erde stammte. Er kam von der Erde und war ein Mensch.
    Er war so lange menschlich gewesen, bis er körperlich verändert worden war.
    Ich hatte schon Frauen und Männer gesehen, die so grundlegend verändert worden waren, dass man unmöglich hätte sagen können, dass sie jemals Menschen gewesen sein konnten. Das war eine Fähigkeit der Avatare. Die Herrschaft des Geistes über den Körper, die Macht des Geistes über die DNS.
    Ahsen, dachte ich, als ich mich an den Avatar erinnerte, an ihr gestohlenes Gesicht, ihre Stimme. Ich hatte sie getötet. Sie hatte Menschen in Monster verwandelt, sie zu Hautsäcken aus Sehnen und Knochen reduziert, Nase, Ohren und Augen herausgerissen, bis nichts mehr übrig war als klaffende, mit Zähnen bestückte Löcher.
    Die Erste der Raffer , hatte sie sich genannt. Die Erste der Ränkeschmiede und Plänespinner. Die Erste, die das Göttliche Organische meisterte.

    Genetische Manipulation, so nannte ich es. Bewerkstelligt allein durch die Kraft der Gedanken.
    »Mist!«, sagte ich leise. »Verdammt!«
    Du hast eine von ihnen getötet, dachte ich. Hast du denn geglaubt, dass das niemand von ihnen bemerken würde?
    Jack hob seine Brauen. Ich tippte mir an den Augenwinkel. »Einer der Männer, die mich entführt haben, wurde … verändert. Und zwar hier. Und sein Speichel ebenfalls.«
    »Ah.« Jack schwieg einen Augenblick, während er seinen Gedanken nachhing. »Was hast du sonst noch erfahren?«, fragte er dann.
    »Dass mein Entführer Hand in Hand mit der katholischen Kirche arbeitet und ich hergebracht wurde, um zu sterben«, erwiderte ich. »Er kannte eine Schwäche von mir, die ich nicht bedacht hatte. Dieser Moment des Übergangs in der Verwandlung.«
    Ich hätte genauso gut einen Blitz geschleudert haben können. Jacks unbeteiligte Maske fiel von ihm ab, und etwas Uraltes und angsteinflößend Tödliches zuckte durch seinen Blick. Ich zitterte - es war vor Kälte, redete ich mir ein. Und dann griff ich ohne nachzudenken in mein Haar, umfasste die rasiermesserscharfe Mähne von Deks Hals, umklammerte den warmen kleinen Dämon auf der Suche nach Trost. Mal knurrte drohend.
    Der Augenblick verstrich, und Jack verwandelte sich wieder in einen einfachen alten Mann, blass und viel zu dünn. Der verlottert war und ausgehungert wirkte. Dem eiskalt war und der im Winter verloren schien. Plötzlich bemerkte ich, dass sein Körper einen hohen Zoll bezahlt hatte. Unter seiner Kleidung war er hager. Unter dem Kragen seines Jeanshemdes sah ich sein Schlüsselbein, das scharf und deutlich hervortrat.

    »Alter Wolf«, flüsterte ich.
    Er antwortete nicht, sondern saß nur grimmig und ruhig da, und wirkte gefährlich nachdenklich. Zee tauchte aus den Schatten auf. Als ich ihn sah, wusste ich sofort, dass die Sache nicht gut gelaufen

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