In Den Armen Der Finsternis
mir ganz klar, dass er Fragen über Grant nicht beantworten wollte.
Aber das wirst du noch tun, dachte ich, während es mir fast die Kehle zuschnürte, als ich Jack hinterhersah, während er aus dem gestohlenen Zelt stolperte. Das wirst du, und zwar schon verdammt bald.
8
D a, eine Straße. Vom Mond beschienen und tief im Wald versteckt, in dem sich der tote Zirkus befand. Die Straße krümmte sich und verschwand aus dem Blick und auch aus meinem Kopf, während ich auf den schneebedeckten Weg starrte und an Märchen dachte, die in der winterlichen Luft zu schweben schienen. An Vampire und Elfen, an Werwölfe - und vielleicht sogar an Drachen, die Träume aus Feuer ausspieen.
An Dämonen, die als Menschen getarnt herumliefen, und an Geister, die dasselbe taten.
»Wo sind wir?«, erkundigte ich mich schließlich, als wir die Ruinen des Zirkus verließen.
»In Osteuropa, so weit entfernt, wie ich uns bringen konnte. In der Nähe sollte ein Dorf liegen.« Jack stolperte im Schnee, und ich packte seinen Arm, schob ihn durch meinen hindurch. »Niemand konnte mehr hierher. Hier sind schlimme Dinge geschehen, und die rumänischen Clans haben die Grenzen dieses Ortes mit einem Fluch geschützt. Es bringt den Tod, wenn man seinen Fuß auf dieses Land setzt.«
Ich warf einen Blick über die Schulter und sah Aaz und Rohw, die uns folgten und deren rote Augen schwach im Schatten blinkten. »Was für schlimme Dinge denn?«
»Genozid.« Jack trat etwas aus dem Schnee. Ich blickte nach unten und hielt den Gegenstand zuerst für einen polierten weißen Stock, bis mir seine Konturen klar wurden. Es war ein Knochen, ich blickte auf einen Knochen. Er musste zu einem Bein oder Arm gehört haben und war viel zu klein, als dass er von einem Erwachsenen hätte stammen können.
Lichtpunkte flimmerten vor meinen Augen, und ich zwang mich zu atmen. Zee drückte seine Nase auf den Knochen und fauchte.
Mir lag zwar die Frage auf der Zunge, wann diese Menschen ermordet worden waren, doch ich fürchtete mich vor der Antwort. Vor sechs Jahren, vor zehn Jahren oder auch vor zwanzig Jahren … Es spielte keine Rolle, ob ich bereits auf der Welt war und die Jungs geerbt hatte oder nicht. In einem Teil der Welt, der sehr weit von mir entfernt lag, waren Menschen gestorben, und ich hätte sie nicht einmal retten können, wenn ich es gewollt hätte. Selbst in diesem Augenblick starben Menschen, die ich nicht retten konnte, und nicht nur durch Dämonen. Sie wurden von Menschen getötet. Uns allen saß das Böse in den Knochen.
Ich blickte noch einmal zurück, kurz bevor der Weg eine Biegung machte und der Wald den Zirkusfriedhof verschluckte. »Du tust ja fast so, als hätte dieser Fluch etwas zu bedeuten.«
Jack warf mir einen scharfen Blick zu. »Das hat er auch, schon weil sie es geglaubt haben, und die Macht des Glaubens muss man respektieren. Menschen sind nicht immer so … nüchtern. Sie kommen vor, Liebes, das sind Launen der Geburt. Jene, denen diese Gaben vor langer Zeit verliehen wurden, geben sie immer noch an ihre Nachkommen weiter, und zwar durch das Blut. Das sollte man besser nicht unterschätzen.«
»Wie der Mann, der mich entführt hat«, erwiderte ich langsam und dachte unwillkürlich an den kleinen Jungen in Francos
Armen. Ob er wohl sein richtiges Kind gewesen war? »Würde er diese physischen Veränderungen weitergeben?«
»Vielleicht«, antwortete Jack, »aber ich glaube, dem hast du einen Riegel vorgeschoben.«
Und nicht nur das. Ich hätte fast eine Hand auf mein Herz gelegt, als könnte mir das helfen, den Geheimnissen zu lauschen, die tief in mir vergraben waren. Stattdessen jedoch stopfte ich meine Faust in die Tasche, dickköpfig und verängstigt. »Er schien jedenfalls sehr bereitwillig zu sein. Er wirkte fast dankbar, nämlich für die Gelegenheit, mich zu töten.«
»Vielleicht dachte er ja, er würde dem Ruf seines Gottes folgen.«
»Das war auf jeden Fall ein falscher Gott, falls ein Avatar seine Finger im Spiel gehabt hat.«
»Was sind denn Götter?« Jack legte den Kopf in den Nacken, während er durch den Schnee stapfte. Sein Haar schimmerte im Mondlicht. Ein bitterer Zug lag um seinen Mund. »Ich war einmal ein Gott, so wie andere meiner Spezies auch. Du kennst ja die Geschichte. Götter, die wunderschöne Mädchen finden und ihre Bäuche mit Kindern füllen, die die Gabe der Macht haben. Oder Menschen, die von den Göttern nur durch eine Berührung gesegnet und mit Fähigkeiten ausgestattet wurden,
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