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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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und Mal summten ein bekanntes Lied, diesmal zur Abwechslung von Richard Marx: Children Of The Night .
    Ich betrachtete Jacks hageres Gesicht und versuchte, ihm in die Augen zu sehen. »Warum erzählst du mir das jetzt? Ich habe dich vor Monaten um Antworten gebeten, aber da hast du nur in Rätseln gesprochen.«
    Jack zögerte, sagte jedoch nichts. Stattdessen hielt er mich an und starrte vor uns auf die Straße, wo Rohw plötzlich verschwunden war. Aaz drängte sich gegen meine kalten Beine und knurrte leise. Dek und Mal hörten auf zu summen.
    Ich hörte ein Knirschen. Das war nicht der Schnee, sondern etwas Härteres, Krustiges, als würde irgendwo im Wald ein riesiges Maul Knochen zermalmen. Es war ein urtümliches, hässliches Geräusch, trocken und würgend, als würde sich jemand rückwärts erbrechen und etwas in einen Schlund stopfen, der mit Blei ausgeschlagen war. Ich konnte es fast sehen: ein Maul wie von einem dieser riesigen Bagger, die Bäume entwurzelten und Hände, die Leichen in den mit spitzen Zähnen bewehrten
Schlund stopften. Ich konnte es sehen, denn ich kannte es schon. Ich kannte dieses Geräusch irgendwo tief in meinem Blut.
    Es wurde lauter. Ich bemerkte Bewegungen im schattigen Wald und dann ein Schmatzen.
    Meine Lunge weigerte sich zu arbeiten. Es kostete mich alle Kraft, gegen das heftige Pochen in meiner Brust anzuatmen. Wenn mein Herz noch schneller schlug, würde es platzen. Ich zwang meine Knie, sich zu beugen. Meine Beine bewegten sich, und ich trat vor Jack hin. Gleichzeitig griff ich in meine Jacke und zog ein Wurfmesser heraus. Das Metall schimmerte silbern in dem nächtlichen Mondlicht und so glatt wie Seide.
    Rohw tauchte wieder auf. Seine Baseballkappe war verschwunden. Er griff über die Schulter und riss einen Dorn aus seinem Rückgrat, den er wie einen Speer schwang. Aaz folgte seinem Beispiel, und das feuchte Schmatzen von reißender Haut übertönte kurz die geisterhaften Echos des Fressens, die aus dem Wald zu uns drangen.
    »Alter Wolf«, flüsterte ich. »Kannst du uns hier wegschaffen?«
    »Nicht uns beide gleichzeitig«, erwiderte er und starrte auf die Bäume. »Er kommt mir immer näher und erweckt seine Schöpfungen wieder zum Leben.«
    »Wie …?«, setzte ich an, doch Jack nahm meinen Arm und drehte mich so herum, dass mein Gesicht an seiner Brust lag. Ich spürte nur, wie seine Hand in die Bodentasche glitt, die an seiner Hüfte hing, aber die abgesägte Pumpgun, die plötzlich in seiner Hand auftauchte, war nicht mehr zu übersehen.
    »Geh und suche Grant«, sagte er eindringlich. »Bleib in Bewegung, und halt dich von vertrauten Orten fern.«
    »Jack…«

    »Er will Grant.« Der alte Mann schob mich ein Stück zurück und senkte den Kopf, um mir in die Augen zu blicken. »Er will mir weh tun, und er will dich töten, gewiss, aber Grant … Grant will er lebendig haben. Daran musst du immer denken.«
    »Wohin soll ich wohl deiner Meinung nach gehen?«, fuhr ich ihn an. »Ich kann dich doch nicht allein lassen.«
    Er packte meine rechte Hand und hob sie zwischen uns hoch. Die Fingerrüstung schimmerte im Licht. Hinter mir im Wald hörte ich ein so lautes und schmerzerfülltes Wehklagen, dass ich die freie Hand unwillkürlich auf mein linkes Ohr presste.
    Zee war tief im Wald und schnarrte plötzlich ein langes, melodisches Wort. Rohw und Aaz verschwanden wie die Blitze im Schatten, und zwischen den Bäumen hörten wir das Geräusch einer Bewegung. Es war ein Krachen und Knirschen und Schnaufen, als wollte eine ganze Armee versuchen, durch eine kollektive Nase zu atmen. Dann polterte es fast ohrenbetäubend und Schreie gellten auf, kreischend und ächzend, wie tausend rostige Türangeln.
    Jack blickte über meinen Kopf hinweg in den Wald hinein. Seine blauen Augen glitzerten in seinem geisterhaft blassen Gesicht. Einen kurzen Augenblick lang sah ich meine Mutter in ihm. Sie hatte ihre Waffe genauso gehalten, mit einer Hand und über ihre Brust - wie einen Schild.
    »Oh, ich werde ihn auf eine wilde Jagd mitnehmen«, murmelte er und drückte meine rechte Hand noch fester.
    Ich versuchte mich zu befreien und hatte plötzlich Angst um ihn. »Was hast du vor?«
    Jacks Miene wirkte unbeschreiblich grimmig. »Es war mir nicht vergönnt, meine Jeannie zu beschützen oder unsere Jolene. Sie wusste erst, dass sie meine Tochter war, als es schon zu spät war.«

    »Jack«, flüsterte ich, als ich langsam begann, zu verstehen. »O Jack, nein.«
    »Er weiß, dass du mein

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