In den Armen der Nacht
Kidnapper.« In ihre Stimme mischte sich kalte, ohnmächtige Wut. »Sie sind eine Beleidigung für die Menschheit, und es wird höchste Zeit, dass man ihnen das Handwerk legt.«
»Was du sagst, stimmt. Und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um sie zu stoppen.« Aus einer ganzen Reihe von Gründen, die er ihr nicht unbedingt auf die Nase binden musste. »Aber vorher hab ich noch ein paar Fragen an dich.« Er faltete das Tischtuch, klappte das Tischchen zusammen und lehnte es an die Wand. »Die Varinskis sind Auftragskiller und lassen sich für ihre verachtungswürdigen Dienste normalerweise gut bezahlen. Wer waren deine Eltern? Wer wünschte sich ihren Tod?«
»Was weiß ich? Ich war damals erst vier.« Sie zuckte ratlos mit den Schultern.
»Du bist Journalistin. Du hattest Einblick in die Ermittlungsakten. Wie stellte die Polizei den Fall dar? Wem gaben die Ermittlungsbeamten die Schuld?«
»Im Polizeibericht wird es so dargestellt, als wäre es ein Familiendrama gewesen. Dass mein Vater meine Mutter tötete, bevor er das Haus anzündete und sich selbst umbrachte.«
»Das ist die gute alte Standardgeschichte. Damit sind die Varinskis fein raus. Was ist mit deinem Kindermädchen? Wo ist sie jetzt?«
»Keine Ahnung. Entschuldige, aber es hat mich nie
wirklich interessiert, was aus Miss Landau geworden ist.« Tasya sprang nervös auf, als müsste sie sich unbedingt die Beine vertreten, und setzte sich angesichts der Enge unverrichteter Dinge wieder. »Sie nahm mich mit. Brachte mich bei einer Pflegefamilie unter. Und dann verschwand sie sang- und klanglos. Ich fühlte mich von ihr im Stich gelassen, abgeschoben - so etwas ist verdammt bitter für ein Kind.«
Es klopfte an der Tür. Rurik spähte durch den in der Tür eingelassenen Spion, bevor er dem Kellner öffnete. Nachdem er das Tablett an sich genommen hatte, gab Rurik ihm ein Trinkgeld und verriegelte hinter ihm die Abteiltür. Darauf wandte er sich wieder zu Tasya. »Irrtum, sie hat dich nicht im Stich gelassen. Sie brachte dich in Sicherheit und gab dich, aus welchen Motiven auch immer - Angst vor den Varinskis, womöglich auch Bedenken, dass sie dich in ihrer Obhut leichter aufspüren könnten -, in eine Pflegefamilie. Wenn sie dich vor eurem brennenden Haus abgesetzt hätte, wo die Varinskis dich unweigerlich gefunden hätten, dann hättest du allen Grund, sauer auf sie zu sein. Aber so nicht.«
»Mach das mal einer Vierjährigen begreiflich, die ihre Eltern und ihr Zuhause verloren hat. Zu allem Überfluss bringt das geliebte Kindermädchen sie bei wildfremden Leuten unter, die noch mindestens zehn andere Kinder in Pflege haben. Würdest du dich da nicht abgeschoben fühlen? Ich bezweifle, dass das Kind dir überhaupt zuhören würde!«
»Du bist kein Kind mehr.« Er fragte sich, wie sie dermaßen nachtragend sein konnte. Wenn sie einen Grund
hatte, jemanden zu hassen, dann ihn und bestimmt nicht diese aufopfernde Kinderfrau.
»Nein, inzwischen bin ich erwachsen und weiß, was ich zu tun und zu lassen habe.«
»Und deshalb treibst du dich als lebende Zielscheibe auf dem Anwesen der Varinskis herum.«
»Du musst immer das letzte Wort haben. Peng.« Sie spreizte Daumen und Zeigefinger zu einer stilisierten Pistole und zielte auf ihn. »Um meine Ängste und meinen Ärger zu kanalisieren, denke ich an meine Eltern und an die Varinskis und plane meine Vergeltung. Das ist auch der Grund, weshalb ich ein Buch geschrieben habe, das die Faszination der Leser an Religion und Legende, Mord und Unterdrückung bestimmt beflügeln wird. Folglich muss ich in der Welt herumreisen und die Varinskis bloßstellen, um an die Ikone heranzukommen. Wenn ich National Antiquities diese Ikone anschleppe und sie deren Echtheit bestätigen, beweise ich damit die Legende, die sich um die Varinskis rankt. Das weckt das Interesse der Weltöffentlichkeit, lenkt den Fokus auf die Varinskis, und die Gerichte in Sereminia sehen sich genötigt, diese Verbrecherbande endlich zu verurteilen.«
»Und was willst du damit bezwecken?«
»Die Varinskis scheffeln jedes Jahr Millionen mit ihren Auftragsmorden. Sie sind ein Mythos unter den Kriminellen dieser Welt. Das wird der Anfang vom Ende für sie, und ich bin diejenige, die ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt hat.« Ihr strahlendes Lächeln war eine Synthese aus perlweißen Zähnen und rachsüchtiger Befriedigung.
»Sie werden dir die Pistole auf die Brust setzen,
Schätzchen, und zwar im wörtlichen Sinne des
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