In den Armen der Nacht
du brauchst, damit er nach ihr sieht. Das meine ich so, wie ich es sage.«
»Ich weiß. Du bist eindeutig viel netter als ich.« Sie beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss. »Das meine ich auch so, wie ich es sage.«
Dann legte sie ihr Waffenhalfter an. »Da die Dysons die gesetzlichen Vormünder des Mädchens sind, kann ich das Jugendamt umgehen und sie irgendwo unterbringen, ohne jede Menge Spuren zu hinterlassen.«
»Du hast Angst, dass, wer auch immer ihre Familie ermordet hat, versuchen könnte, auch sie aus dem Verkehr zu ziehen.«
»Davon bin ich sogar überzeugt. Deshalb ist es besser, wenn möglichst niemand weiß, wo sie sich versteckt.«
»Du hast zu ihr gesagt, du würdest dafür sorgen, dass sie ihre Familie noch einmal sehen kann. Hältst du das für vernünftig?«
Eve bückte sich nach den Stiefeln, die sie am Vorabend im Zorn durch den Raum geschleudert hatte. »Sie muss sie noch mal sehen. Die Hinterbliebenen der Opfer von Gewaltverbrechen müssen die Toten noch mal sehen. Sie muss so lange warten, bis es sicher ist und bis Mira die Erlaubnis dazu gibt, aber dann muss sie zu ihnen in die Pathologie. Schließlich ist das, was passiert ist, ein Teil von ihrem Leben, mit dem sie sich auf Dauer arrangieren muss.«
»Du hast Recht, ich weiß. Nur hat sie gestern Abend in dem Bett so klein und so zerbrechlich ausgesehen. Ich hatte noch nie mit einem Kind zu tun, das so viel verloren
hat. Für dich ist es wahrscheinlich nicht das erste Mal.«
Nachdem sie ihre Stiefel angezogen hatte, blieb sie auf der Sofalehne sitzen und erklärte: »In meinem Job gibt es so gut wie nichts, was man nach ein paar Jahren nicht schon mal erlebt hat. Du kennst diese Dinge aus dem Dochas«, fügte sie in Gedanken an das von Roarke gebaute Frauenhaus hinzu. »Und du hast selbst noch Schlimmeres erlebt. Deshalb hast du dieses Haus gebaut.«
»Es ist das erste Mal, dass ich es direkt erlebe. Meinst du, dass Louise dir vielleicht helfen kann?«
Louise Dimatto, Kreuzritterin, Ärztin und Leiterin des Dochas, könnte ihr auf alle Fälle helfen, dachte Eve, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich will niemanden in die Sache mit reinziehen, den ich nicht unbedingt mit reinziehen muss. Vor allem keine Zivilisten. Und jetzt muss ich die Teambesprechung vorbereiten. Falls du etwas über die Alarmanlage rauskriegst, gib mir bitte Bescheid.«
»Na klar.«
Sie beugte sich erneut zu ihm herab, strich mit ihren Lippen über seinen Mund. »Bis später, Kumpel«, sie wandte sich zum Gehen.
Sie brannte darauf, mit der Arbeit fortzufahren und wieder die Dinge zu tun, in denen sie bewandert war. Während Baxter und Trueheart die Klientenlisten überprüften und Feeney und die anderen elektronischen Ermittler zusammen mit dem polizeiexternen Spezialisten weiter die Alarmanlage auseinandernahmen, fuhren sie und Peabody mit den Vernehmungen der Freunde, Nachbarn und Kollegen fort.
Wahrscheinlich, dachte sie, waren die Killer angeheuert worden und längst schon nicht mehr in der Stadt.
Vielleicht nicht einmal mehr im Land. Sie bräuchte das Motiv, denn dann fände sie auch den Auftraggeber und käme durch ihn an die Ausführenden heran.
Es gab ganz sicher ein Motiv, auch wenn es noch so tief im Leben eines oder mehrerer Mitglieder einer, wie es aussah, ganz gewöhnlichen Familie vergraben war.
»Eine ganz gewöhnliche Familie«, sagte sie, als Peabody den Raum betrat. »Mutter, Vater, Tochter, Sohn. Sie kennen sich mit solchen Dingen aus.«
»Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen guten Morgen«, grüßte Peabody in einem gut gelaunten Singsang. »Was für ein wunderbarer Tag. Man kann sich die frische Brise um die Nase wehen lassen, während man sich daran erfreut, wie das Licht der Sonne die Bäume in Ihrem wunderschönen Park in ihrer ganzen herbstlichen Farbenpracht erstrahlen lässt. Was haben Sie gesagt?«
»Meine Güte, was für eine Glückslaus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?«
»Ich habe meinen Tag sportlich angefangen.« Peabody bleckte gut gelaunt die Zähne. »Wenn Sie wissen, was ich damit sagen will.«
»Ich will es gar nicht wissen.« Eve presste den Handballen unter ihr wild zuckendes linkes Auge. »Warum tun Sie das? Warum stoßen Sie mich immer wieder mit der Nase drauf, dass zwischen Ihnen und McNab was läuft?«
Peabodys Grinsen wurde noch ein wenig breiter. »Es macht mir einfach Spaß. Aber wie dem auch sei, ich habe eben kurz bei Nixie reingeschaut. Wie war ihre Nacht?«
»Sie hatte einen
Weitere Kostenlose Bücher