In den Armen des Eroberers
Geschäftigkeit brodelte.
Innerhalb von wenigen Minuten saß sie über Listen gebeugt – vorläufige Listen, dann korrigierte Listen und schließlich Listen zum Gegenlesen. Nachmittag und Abend vergingen unter konzentrierter Arbeit; Webster und die Hauswirtschafterin, eine matronenhafte Dame namens Mrs. Hull, koordinierten die Ausführung der von der Herzogin-Witwe erlassenen Anordnungen. Ein Heer von Stubenmädchen und Dienern machte sich an die Herrichtung der Räume. Hilfskräfte von den umliegenden Bauernhöfen strömten herbei, um in Küche und Stall zur Hand zu gehen. Und trotz aller Geschäftigkeit herrschte eine gedämpfte, ernste Stimmung; kein Lachen war zu hören, kein Lächeln zu sehen.
Die Nacht kam, rastlos, unruhig, und ein trüber Tag begrüßte Honoria, als sie aufwachte. Ein Leichentuch hatte sich über den Familiensitz gesenkt – mit dem Eintreffen der ersten Kutsche nahm die Düsternis noch zu.
Die Herzogin-Witwe ging den Ankömmlingen entgegen und nahm ihre schmerzerfüllte Schwägerin unter die Fittiche. Honoria schlich sich fort, in der Absicht, Zuflucht im Sommerhaus seitlich des Rasenplatzes zu suchen. Auf halbem Weg über die ausgedehnte Grasfläche entdeckte sie Devil, der zwischen den Bäumen hindurch in ihre Richtung strebte. Er hatte mit dem Kaplan, Mr. Merryweather, und einigen Männern zusammen die Grabstätte ausgesucht. Devil hatte sie gesehen, also blieb Honoria stehen.
Er ließ den Blick flüchtig über sie schweifen und begutachtete ihr Kleid in weichem Lavendelgrau, einer dem Anlaß angemessenen Farbe. Seine Miene war verschlossen und starr, dennoch spürte sie seine Zustimmung.
»Eure Tante und Euer Onkel sind eingetroffen«, informierte sie ihn, als er noch ein paar Schritte von ihr entfernt war.
Eine schwarze Braue zuckte; er blieb nicht stehen. »Guten Morgen, Honoria Prudence.« Flink ergriff er ihre Hand, legte sie auf seinen Unterarm und drehte Honoria geschickt wieder dem Hause zu. »Ihr habt hoffentlich gut geschlafen?«
»Sehr gut, danke.« Da ihr keine andere Wahl blieb, schritt Honoria kräftig neben ihm aus und wehrte sich gegen den Wunsch, ihn böse anzufunkeln. »Ich habe Euch nicht gestattet, mich mit dem Vornamen anzureden.«
Devil blickte zur Zufahrt hinüber. »Eine Unterlassungssünde Eurerseits, aber ich halte nun mal nicht viel von Etikette. Vermutlich nimmt sich Maman meiner Tante an?«
Honoria nickte.
»In diesem Fall«, sagte Devil, den Blick weiterhin geradeaus gerichtet, »brauche ich Eure Hilfe.« Eine weitere schwarz verhangene Kutsche kam in Sicht und rollte langsam auf die Treppe zu. »Das dürften Tollys jüngere Geschwister sein.«
Er streifte Honoria mit einem flüchtigen Blick; sie stieß heftig den Atem aus und neigte den Kopf. Sie beschleunigten ihre Schritte und erreichten die Auffahrt, als die Kutsche schwankend zum Stehen kam.
Der Schlag wurde aufgestoßen, ein Junge sprang herab. Mit aufgerissenen Augen betrachtete er das Haus. Dann hörte er Schritte und fuhr zu den Ankommenden herum. Schlank, vor Anspannung zitternd, sah er ihnen entgegen, das Gesicht leichenblaß, die Lippen fest zusammengepreßt. Erkennen blitzte in seinen schmerzerfüllten Augen auf. Honoria sah, wie er die Muskeln spannte, um sich Devil in die Arme zu werfen, doch er beherrschte sich und schluckte mannhaft.
Devil ging zu dem Jungen, legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie tröstend. »Braver Junge.«
Er warf einen Blick ins Innere der Kutsche und lockte die darin Sitzenden. »Nun kommt schon.«
Zuerst hob er ein leise schluchzendes Mädchen heraus, dann noch eines. Beide hatten üppige, kastanienbraune Locken und zarte, wenn auch etwas fleckige Haut. Vier große blaue Augen schwammen in Tränen, die schmalen Gestalten erbebten unter Schluchzen. Nach Honorias Schätzung waren sie etwa sechzehn Jahre alt – und Zwillinge. Ohne ein Zeichen von Zurückhaltung oder Angst schlangen sie die Arme um Devils Taille und klammerten sich an ihn.
Devil legte jeweils einen Arm um die Schultern der Mädchen und drehte sie in Honorias Richtung. »Das ist Honoria Prudence – Miss Anstruther-Wetherby für euch.« Er sah Honoria an. »Sie weiß, wie es ist, wenn man einen geliebten Menschen verliert.«
Sowohl die Mädchen als auch der Junge waren zu sehr in ihren Schmerz vertieft, als daß sie Honoria vorschriftsmäßig hätten grüßen können. Honoria erwartete es auch gar nicht, sondern handelte wie auf ein Stichwort. Devil befreite sich rasch aus
Weitere Kostenlose Bücher